laut.de-Kritik

Amerikas Gründungsmythos, verpackt in überlebensgroße Musik.

Review von

"Wenn bei John Ford einer zum Fenster rausschaut, hat er den Blick in eine strahlende Zukunft. Wenn bei mir einer das Fenster aufmacht, weiß jeder: Der wird jetzt erschossen." Sergio Leone pflegte einen zynischen Blick auf den insbesondere im Western-Genre feierlich überhöhten Gründungsmythos der Vereinigten Staaten. Anstelle eines edlen Cowboys, der einfach nur den Missetäter aus dem Verkehr ziehen muss, damit wieder Ruhe und Ordnung unter den rechtschaffenen Menschen herrscht, regieren in seinen fünf grandios inszenierten Italowestern die Antihelden.

Mit dem in Deutschland etwas irreführend "Zwei Glorreiche Halunken" betitelten "The Good, The Bad & The Ugly" feierte das ohnehin spannende Genre einen eindrucksvollen Höhepunkt. Das Wechselspiel von Nahaufnahmen ungepflegter Charaktergesichter und distanzierter Einöde hat sich ebenso ins kollektive kulturelle Gedächtnis gebrannt wie die unvergessliche Musik von Ennio Morricone. Filmmusik müsse der Geschichte und den Charakteren Tiefe verleihen, erklärte er 1991 in einem Interview. "Sie muss also alles sagen, was der Dialog und das Bild nicht sagen können."

Morricone stammte aus einer musikalischen Familie. Wie sein Vater konzentrierte er sich früh auf die Arbeit mit der Trompete, die er später in zahlreiche Scores integrierte. Auf eine klassische Ausbildung auf der Musikhochschule Roms folgte die Produktion von Popmusik. Beide musikalische Welten verknüpfte er später in der Filmmusik. 1961 komponierte er erstmals für einen Kinofilm. Drei Jahre später arbeitete er für "Für Eine Handvoll Doller", dem ersten Teil der "Dollar-Trilogie", erstmals mit Sergio Leone zusammen, den er schon im Alter von acht Jahren in der Grundschule kennengelernt hatte.

In ihrem dritten Film peitscht Leones Komponist dem Publikum gleich mit dem Vorspann ein. Ennio Morricone lässt in "The Good, The Bad And The Ugly - Main Title" Musik und Soundeffekten ineinandergreifen. Das sprüht vor Aufbruch und Abenteuerlust. Wortloser Gesang verleiht dem Intro etwas Archaisches. Mit dem Einsatz der Gitarre nimmt es an Fahrt auf, wechselt quasi vom Trab in den Galopp. Trompeten verorten den Film geografisch in die Südstaaten, verweisen zugleich aber auch auf den tobenden Amerikanischen Bürgerkrieg. Dazu donnern in der Film-Version die Kanonen.

Das einprägsamste Element des "Main Title" dürfte aber das berühmte Kojoten-Geheul darstellen, das zugleich das Hauptmotiv der drei Schlüsselfiguren ist. Lee Van Cleef porträtiert Sentenza als den sadistischen Bösen. Eli Wallach spielt Tuco, den Hässlichen, als vulgären, etwa stumpfsinnigen Banditen, der eine Art monetäre On-Off-Beziehung mit dem von Clint Eastwood dargestellten Blonden führt. Beide arbeiten mit der Wertsteigerung Tucos, indem ihn der Gute mehrmalig bei den Behörden abliefert, das Kopfgeld kassiert, den Henkersknoten rechtzeitig durchschießt und die Prämie mit ihm teilt.

Schnell erweisen sich die im Titel behaupteten Kategorien von Gut und Böse als relativ. Der Blonde mag sich zwar an Absprachen halten und sich mit der Raffinesse und Erhabenheit von Clint Eastwood durch die Kulissen bewegen, hat zugleich aber bereits drei Männer erschossen, als ihn der Film als 'den Guten' vorstellt. Indem Ennio Morricone allen drei Charakteren dasselbe Motiv gibt, hebt er die moralischen Unterschiede zwischen ihnen auf. Lediglich die Instrumente weichen ab. Für den Blonden wählt der Komponist eine Flöte, für Sentenza eine Ocarina und für Tuco menschliche Stimmen.

Ausgerechnet der beschränkt gezeichnete Tuco beweist den klarsten Blick auf die noch unzivilisierte Gesellschaft, als er nach vielen Jahren auf seinen vorwurfsvollen Bruder trifft: "Du bildest dir ein, dass du besser bist als ich, aber wer in unserem lieben Vaterland nicht verhungern will, der muss entweder Priester oder Bandit sein. Du hast deinen Weg gewählt und ich den meinen. Mein Weg ist der härtere." Angetrieben von ihrer Gier führt dieser Weg ihn, den Blonden und Sentenza zu einem Friedhof, wo sich eine veruntreute Kriegskasse im Wert von 200.000 Dollar in einem Grab befinden soll.

Ihre gesellschaftliche Entkopplung spiegelt sich auch in ihrem Blick auf den Sezessionskrieg, der sich durch den Film zieht. Es käme ihnen nie in den Sinn, sich für eine Seite zu engagieren. Immer wieder tarnen sie sich in den jeweiligen Uniformen, verwechseln die Parteien und landen sogar in Kriegsgefangenschaft, als Tuco einer lediglich grau eingestaubten Gruppe Soldaten aus dem Norden zuruft: "Gott ist mit uns, weil er die Yankees auch hasst!" Als der Irrtum offenbar wird, erwidert Eastwood in seiner unnachahmlich trockenen Art: "Gott ist nicht mit uns, weil er mit Idioten keine Gnade kennt."

Während die Dialoge Elemente einer Buddy-Komödie aufweisen und mitunter die Oneliner späterer Actionfilme vorwegnehmen, begleitet Morricone das Kriegsgeschehen mit der ihm innewohnenden Schwermut. Als der für Mitgefühl wenig empfängliche Sentenza ein Lager der Konföderierten besucht, untermalt das elegische "The Strong" die Szenerie. Praktisch identisch erklingt das Klagelied später bei einer Einheit Unionisten, womit der Komponist wie schon beim Hauptmotiv des Films die Kontrahenten auf Augenhöhe bringt und den Krieg allgemeingültig kommentiert.

"Marcia" begleitet Tuco und den Blonden mit gepfiffenem Restoptimismus ins Gefangenenlager, bevor es Richtung Trübsinn kippt. Nur einmal findet diegetische Musik statt, also Musik, die die Figuren in der erzählten Welt selbst wahrnehmen. In einer Szene im Kriegsgefangenenlager singt ein Chor das von Tommie Connor geschrieben "The Story Of A Soldier", um zu übertönen, dass der Böse gerade den Hässlichen durch einen Unteroffizier foltern lässt. "Je kräftiger der Chor singt, umso stärker schlägt Wallace zu", bemerkt ein Mitgefangener zur einlullend sentimentalen Ballade.

Der gefühlte Höhepunkt setzt ein, als Tuco die Kriegswirren hinter sich lässt und zu "The Ecstasy Of Gold" den gigantischen Friedhof erreicht. Zunächst legt sich leise Melancholie über die tausenden Gräber, dann leitet die italienische Sopranistin Edda Dell'Orso mit ihrem zeitlos schönen Gesang eine regelrechte Siegesparade ein, die sich bis zum euphorischen Glockengeläut steigert. Tänzelnden Schrittes bewegt sich Eli Wallach über das Areal und verfällt analog zur musikalischen Untermalung in einen gierigen Rausch. Er darf sich im Angesicht all der Toten als der wahre Kriegsgewinner fühlen.

"The Trio" begleitet schließlich den Showdown. Der Blonde und Sentenza treffen auf dem zentralen Rundplatz aufeinander und entscheiden bei einem Mexican Standoff über die künftigen Besitzverhältnisse. Morricone unterstreicht fulminant den Spannungsaufbau. Wie tropfender Schweiß erklingt die Akustikgitarre, das dominante Trompetenspiel zerrt an den Nerven und auch das bis zum Hals der Protagonisten schlagende Herz lässt sich hineinlesen. Dazu lässt Sergio Leone schrittweise die Schnittfrequenz erhöhen und zoomt bis zum tödlichen Schuss immer näher an die drei Gesichter heran.

Der Einfluss von "The Good, The Bad & The Ugly" lässt sich kaum überschätzen. Überdeutlich zieht er sich etwa durch das gesamte Werk Quentin Tarantinos, der den Film einmal als "größte Errungenschaft in der Geschichte des Kinos" adelte. Ennio Morricone blieb bei dem Thema grundsätzlich verhaltener. Wenn er in einem seiner seltenen Interviews auf seine Arbeit am Italowestern angesprochen oder gar reduziert worden ist, reagierte er stets verschnupft. "Die Deutschen sind bei den Western stehengeblieben. Ich weiß nicht, weshalb", erklärte er einmal gegenüber dem Tagblatt.

Trotz dieser vermeintlichen Distanzierung hielt er dem Genre bei seinen Konzerten stets die Treue. Noch bei den finalen Auftritten seiner "Farewell Tour" spielte er mit dem knapp 75 Musikerinnen und Musiker umfassenden Tschechischen Nationalen Symphonieorchester neben den Scores zu "Cinema Paradiso", "The Mission" oder "The Hateful Eight" gleich zweifach "The Ecstasy Of Gold". Und so verabschiedete sich der Maestro an einem heißen Sommerabend vor der bestrahlten Kulisse der antiken Caracalla-Thermen Roms mit diesem überlebensgroßen Stück Musikgeschichte.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. The Good, The Bad And The Ugly - Main Title
  2. 2. The Sundown
  3. 3. Sentenza
  4. 4. Fuga A Cavallo
  5. 5. Il Ponte Di Corde
  6. 6. The Strong
  7. 7. Inseguimento
  8. 8. The Desert
  9. 9. The Carriage Of The Spirits
  10. 10. La Mission San Antonio
  11. 11. Padre Ramirez
  12. 12. Marcia
  13. 13. The Story Of A Soldier
  14. 14. Il Treno Militare
  15. 15. Fine Di Una Spia
  16. 16. Il Bandito Monco
  17. 17. Due Contro Cinque
  18. 18. Marcia Without Hope
  19. 19. The Death Of A Soldier
  20. 20. The Ecstasy Of Gold
  21. 21. The Trio

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