laut.de-Kritik
Großes Theater in einem Strudel der Zerstörung.
Review von Ulf KubankeEsben And The Witch pfeifen auch auf ihrem dritten Album "A New Nature" auf jegliche Erwartungshaltung. Neugier und Experimentierfreude bleiben die einzige Konstante. Nach dem schicken Gothic des Debüts sowie den elektronischen Gimmicks des Zweitlings packen sie nun den Zweiänder aus. Krachiger Noiserock hält Einzug und verändert das gesamte Klangbild erheblich.
Alles scheppert, dröhnt und erodiert unter fetten Gitarreneruptionen. Dazwischen streuen sie gerne psychedelischen Sand in das ruhende Auge dieses Sturms ("Dig Your Fingers In"). Das klappt vor allem deshalb so gut, weil sie sich rhythmisch vom Drumcomputer lösen. Endlich gibt es einen flexiblen Trommler an den Fellen, der auf jeden Tempo- und Stimmungswechsel adäquat zu reagieren versteht.
Als größter Coup entpuppt sich jedoch das Mitmischen von Steve Albini. Genau so, wie Mr Big Black u.A. den Pixies oder Nirvana einen ordentlichen Schrammelsound schneiderte, funktioniert es auch hier. Garage und Goth feiern sich in schaurig schönem Koitus. Entsprechend gibt es einen nicht endenden Vorrat räudig-rauer Fasern im Klangbild, aber alles immer schön schwarz lackiert.
Das neue Konzept wirkt Wunder und wandelt ihre Hauptschwäche zur echten Stärke. Die ersten beiden Scheiben machten bereits überdeutlich, dass die Band zwar atmosphärisch hochtalentiert ist, aber sich mit dem Schreiben von Melodien und mitreißenden Songs recht schwer tut. Die Lösung: Man lässt es einfach bleiben und konzentriert sich komplett auf das Vermitteln von Stimmungen. Anstelle des selbst postulierten und stellenweise arg konstruierten Nightmare-Pops gibt es nun die Knochensäge in den Schädel.
Sängerin Rachel Davies macht ihren Job am Mikrofon nach wie vor hervorragend. Große Veränderungen brauchen die Vocals trotz der Noise-Breitseite nicht. Etwas weniger Fee und etwas mehr Horror-Elfe im Duktus reich vollkommen aus, die entfesselten Instrumente gelungen zu kontrastieren und zu komplettieren. Ganz besonders die über zehnminütigen Tracks "Press Heavenwards!" oder "The Jungle" profitieren hiervon ungemein.
Wer sich gelegentlich ein wenig an die frühen Swans erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Die Briten scheinen nicht nur deren Meilenstein "Children Of God" ausgiebig gehört zu haben. Beseelt vom Geiste Michael Giras servieren sie mit den grandios pointierten Kloppern "No Dog" und "Those Dreadful Hammers" großes misanthropes Theater in einem Strudel der Zerstörung. Beide Lieder eignen sich als unbedingte Anspieltipps zum Reinhören.
Damit finden Esben And The Witch endlich ihre ganz eigene stilistische Baustelle und nebenbei auch noch sich selbst. "A New Nature" ist der quicklebendige Beweis dafür, dass man auch ohne erkennbares Talent zum Ohrwurm große Kunst machen kann, die den Hörer verzaubert.
3 Kommentare
Das ist wirklich eine angenehme Überraschung, wenn die Anspieltipps nicht zuviel versprechen. Ich höre da mittlerweile auch gesanglich Verbeugungen an PJ Harvey raus.
ich verstehe, was du meinst. die parallelen sind in der tat vorhanden. ich persönlich halte das jedoch weniger für eine verbeugung. die beiden damen sind wohl einfach ne ähnliche sorte raubtier.
Tolle Platte, hat seit VÖ schon einige Rotationen bei mir durch. Bedingungsloser Wille zur Weiterentwicklung und gelungene Experimente sucht man im Musikzirkus im Allgemeinen und bei Frontfrauprojekten im Speziellen leider viel zu häufig vergebens.
Möchte an dieser Stelle gerne auch nochmal den gelungenen Zweitling von Black Moth erwähnen. Platten, die mir für mein eigenes musikalisches Hauptprojekt mit Frontfrau dieses Jahr viel Inspiration geschenkt haben.