laut.de-Kritik

Die britischen ADHS-Kavaliere mögen den Schlag ins Gesicht.

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Everything Everything mögen den musikalischen Schlag ins Gesicht. Ja, die ADHS-Kavaliere aus dem englischen Manchester polieren der durchschnittlichen Hörgewohnheit mit ihrer dritten Platte ordentlich die Fresse. Eigentlich bleibt auf "Get To Heaven" also alles beim Alten: Organische Gitarrenhymnen mischen sich mit elektronischen Nadelstichen, Sänger Jonathan Higgs mimt mit seiner Gratwanderung zwischen Vollstimme und Falsett den schizophrenen Maestro.

Am Anfang steht die blanke Überforderung, ein nervöses Kribbeln als musikalische Ursuppe. Es dauert nicht lange, bevor das ruhige Intro bei "Distant Past" einer trippigen Passage des Sprechgesangs weicht. Es folgen Stimmen, die in einer fiebrigen Schleife den Songtitel immerzu wiederholen – und im nächsten Moment findet man sich schon im Refrain wieder: "Save me from the distant past / I want it so bad."

Letzteres trifft den Nagel auf den Kopf. Diese Musik nimmt ein rapides Tempo auf, die vielen ineinander verwobenen Details mögen grobes Facepalming hervorrufen. Doch nach einem kurzen Moment gilt auch hier das klassische Credo einer jeden Ausnahmesituation: Man will und kann nicht weghören. Die gute Nachricht: "Get To Heaven" sorgt dafür, dass man das auch gar nicht muss.

"Regret" holt sich Inspiration aus den Gospel-Musicals dieser Welt und vereint dies mit einem Tapping-Solo des Gitarristen Alex Robertshaw. Die Stimmung wechselt, "The Weel" beerdigt die Fete mit einer Art Orgel-Rave, bringt jedoch andächtige Tanzlaune mit sich.

Jonathan Higgs verspürt einfach keine Müdigkeit, redet irgendwas von "lobotomy" und haut einem eine Silbe nach der anderen um die Ohren ("Blast Doors"), dann folgen wieder epileptische Gitarrenentgleisungen ("Zero Pharaoh"). Dagegen fühlt sich das balladige "No Reptiles" an wie ein heimliches Bad im Gartenteich des Nachbarn: entspannt, weil man längst danach verlangte, aber man weiß nicht, in welchen Substanzen man da gerade schwimmt.

"Get To Heaven" ist im Endeffekt wie der sportliche Adonis, der früher in der Schule neben dir saß: Kann praktisch alles und ist sogar in Mathe noch besser als du. Everything Everything erweisen sich einmal mehr als beeindruckend vielfältig, machen sich zwar jede Menge Synthies zum Untertan, vergessen aber die Grundtugenden von Rock und Pop dabei nicht.

Groove, Gitarre und eine Prise Funk schwimmen in den Songs mit. Trotzdem hat man nie das Gefühl, deren Vielschichtigkeit von Beginn an durchschaut zu haben: Everything Everything liebkosen die Sinne, ohne sich gänzlich zu entblößen. So lassen die hibbeligen Klänge auf "Get To Heaven" einen wärmenden Kavaliersschmerz zurück, der nur Lust auf viele weitere Runden macht.

Trackliste

  1. 1. To The Blade
  2. 2. Distant Past
  3. 3. Get To Heaven
  4. 4. Regret
  5. 5. Spring / Sun / Winter / Dread
  6. 6. The Wheel (Is Turning Now)
  7. 7. Fortune 500
  8. 8. Blast Doors
  9. 9. Zero Pharaoh
  10. 10. No Reptiles
  11. 11. Warm Healer

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