laut.de-Kritik

Traum-Kollabo mit erstklassigen Beats und intelligentem Rap.

Review von

"Guck mal all die Anderen - die waren früher besser. Doch bei mir ist es anders, ich war früher schlechter." Fatoni ist der "Benjamin Button" des Rap. Der Münchner zählt immerhin schon schlappe 30 Lenze, ist seit gut 15 Jahren dabei und hat eine dementsprechende Diskographie vorzuweisen. Trotzdem fühlt sich "Yo, Picasso" wie ein Debüt an. Wieso eigentlich?

Auf der Suche nach Erleuchtung genügt schon ein Blick aufs Cover. Da steht zwar Picasso – das Porträt von Fatoni und Dexter hat aber so gar nichts vom kubistischen Trademark-Stil des spanischen Malers. Doch auch das ergibt einen Sinn. "Yo Picasso" heißt nämlich auch ein Selbstporträt des Künstlers, das statt seinem Familiennamen erstmals den simplen Schriftzug "Picasso" trägt und damit sagt: Ich hab meinen Style gefunden. Fatoni ist zwar kein Picasso, aber die Message bleibt die gleiche. Und wenn schon das Plattencover dazu inspiriert, sich in Kunstgeschichte zu vergraben, statt im McFit die Hanteln zu stemmen – was macht dann erst die Musik?

Die hält alles, was man sich bei der Ankündigung dieser Traumkollaboration hätte ausmalen können. Dexter liefert Beats, die in jeder Sekunde Liebe zur Musik versprühen. Man stellt sich den Heilbronner förmlich vor, wie er da im verrauchten Studio sitzt und stundenlang handverlesene Samples zusammenfrickelt. Ob mit Backpack und Baggies oder Beanie und Bomberjacke: Bei Dexters Boom-Bap nickt jeder im Takt.

Viel interessanter als das bereits erahnte Beat-Feuerwerk ist allerdings die Wirkung, die die intensive Zusammenarbeit auf Fatoni hatte. Der setzt sowohl raptechnisch als auch textlich im Vergleich zu den vorangegangen EPs noch mal einen drauf.

"Scheiß auf Authentizität, ich will einfach nur ich selbst sein." Wenn Fatoni er selbst ist, sprengt er jede Schublade. Mal zynisch, mal ironisch, mal einfach nur lustig, inszeniert sich der 30-Jährige hinter einer Maske ungreifbarer Ambivalenz. "Sie sind cool von Anfang 20 so bis Anfang 30. Und dann, ich weiß nicht man. Meistens werden sie langsam peinlich." Einerseits verteilt er Schellen an die vergreisten Veteranen, andererseits glorifiziert er das mittlerweile nun auch schon in die Jahre gekommene The Streets-Mastermind: "Ich hör ein Lied von Mike Skinner und wär lieber Mike Skinner, denn ich liebe Mike Skinner. Und ich hasse Mike Skinner bis in alle Ewigkeit, denn im Vergleich zu Mike werd' ich immer mittelmäßig sein."

Das mutwillige Vor-Den-Kopf-Stoßen lässt den Zuhörer immer im Zweifel, woran er eigentlich ist. Im einen Moment meint man die Fassade des ausgebildeten Schauspielers durchblickt zu haben, im nächsten legt Fatoni mit quietschenden Reifen einen U-Turn hin und man kann wieder von vorne anfangen.

Allein dieses ständige Hinterfragen hält durchgängig bei der Stange. Vor allem dann, wenn sich der Münchner als Geschichtenonkel in den Ohrensessel setzt und anfängt zu erzählen. Ob zynische Gesellschaftskritik, wie in "Semmelweisreflex", oder einfach nur pointierte Unterhaltung à la "Stalingrad": Fatoni hat das Storytelling mit Löffeln gefressen. Nicht nur Erzählkunst steht dabei auf der Speisekarte, auch Bacon und Co. haben es dem Gutmenschen angetan: "Dass Schweinebabys süß und lecker gleichzeitig sind, war ein Bitchmove von Mutter Natur." "Ein schlechter Mensch" ist eben nur der, der keinen anderen zum Schuld in die Schuhe schieben findet.

Fatoni schafft, mit Dex an seiner Seite, woran intelligenter, anspruchsvoller Rap so oft scheitert: Er wirkt zu keiner Zeit verkopft, gerade weil die musikalische Untermalung so viel Spaß macht. "Yo, Picasso" funktioniert sowohl im Auto bei runtergelassenen Scheiben auf voller Lautstärke, als auch auf dem heimischen Plattenspieler bei einem Glas Rotwein. Auch wenn das letzte Drittel nicht ganz mit der pompösen ersten Hälfte mithalten kann, bis zum erklärten Ziel muss Fatoni sicher keine Dekade mehr warten: "Mit Anfang 20 war ich wack, aber guck mal jetzt, ich werde langsam perfekt."

Trackliste

  1. 1. Benjamin Button
  2. 2. Authitenzität
  3. 3. 32 Grad
  4. 4. Semmelweisreflex
  5. 5. Kann Nicht Reden Ich Esse (feat. Kryptik Joe)
  6. 6. Ein Schlechter Mensch
  7. 7. Stalingrad
  8. 8. Mike
  9. 9. Kein Tag
  10. 10. Dienstag Nacht
  11. 11. ADHS
  12. 12. Schauspielführer
  13. 13. ICE Abteil

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