laut.de-Kritik

Charme- und schamlose Raps auf Gunna Type Beats.

Review von

Eines muss man Fler lassen: Nur wenige Rapper blieben über einen so langen Zeitraum relevant. Von den Deutschrappern, die wir vor 15 Jahren gefeiert haben, hielten sich neben Fler allenfalls noch Bushido, Sido oder Kool Savas auf der Bildfläche. Mit legendären Parts auf den Aggro Ansagen machte Fler damals auf sich aufmerksam, und mit der "Neuen Deutschen Welle" eroberte er die Schulhöfe.

Dass sich seine Musik auch 15 Jahre später noch gut verkauft und sein Name noch heute regelmäßig in der Boulevardpresse auftaucht, liegt sicherlich zu einem gewissen Teil daran, dass Flizzy mit der Zeit geht, seinen Sound weiterentwickelt und ein gutes Händchen fürs Musikgeschäft hat. Unbedingt zu erwähnen sind aber auch die ständigen Provokationen, Skandale, Beefs, Streitereien, Interviews und Gesetzesverstöße, mit denen sich Fler einen Platz am Tisch der wichtigsten Deutschrapper der Gegenwart und der letzten 20 Jahre erkauft hat. Allein mit einer Aufzählung der Eklats, die die Promophase für "Atlantis" angekurbelt haben, könnte man eine ganze Review füllen.

Hier soll es aber nicht um Flers Außen- oder Selbstdarstellung gehen, sondern natürlich um Musik. Wer sich näher mit Deutschrap beschäftigt, dem hängt die ständige Berichterstattung der Flerschen Skandale wahrscheinlich sowieso zum Halse raus.

"Atlantis" ist ein Album, das wie viele Projekte von aktuellen Rappern der nationalen und internationalen Szene den Titel "Album" nicht so richtig verdient. Ein Konzept ist nicht erkennbar und die 16 Tracks könnten genauso gut auch auf Shuffle abgespielt werden, ohne dass es dem Hörer auffallen würde. Dank Simes Branxons, der das komplette Album produziert hat, fällt kein Track aus der Reihe und der Sound wirkt insgesamt stimmig.

Hip Hop-Detektiven, denen nach Veröffentlichung der ersten Promobilder schon gewisse Ähnlichkeiten mit dem Albumcover eines derzeit sehr erfolgreichen amerikanischen Rappers aufgefallen sind, dürfen sich schon nach dem ersten Hören von "Atlantis" bestätigt fühlen: Der Einfluss des Sounds von Gunna ist nicht von der Hand zu weisen. Fler hat sich nicht nur inspirieren lassen, die Ähnlichkeit der zahlreichen Gitarrenbeats auf "Atlantis" mit den Beats von Gunna springt einem förmlich ins Auge.

Nun hat Gunna natürlich das Rappen auf Gitarrenloops, Hi-Hats, Snares und dumpfen 808s nicht erfunden oder für sich gepachtet. Bevor man aber Fler für diesen "innovativen Sound" lobt, den er da nach Deutschland bringt, sollte also erwähnt werden, dass es sich dabei nicht um Flers Innovation handelt. "Für die deutschen Rapper, hier der Blueprint. Mal seh'n, wie ihr alle auf den Zug springt", rappt er auf "Dreamer". Ja, mal sehen, Flizzy, es ist aber ganz bestimmt nicht dein Zug und du bist noch nicht einmal derjenige, der ihn ins Rollen gebracht hat.

Fler profitiert möglicherweise davon, dass seine Fangemeinde die amerikanischen Originale gar nicht kennt. Sie sieht Fler der Szene tatsächlich mehrere Jahre und dem Wettbewerb mehrere Schritte voraus. Gelungen ist Fler, Summer Cem und dem Produzenten Simes das Kopieren vor allem auf "Ketamin", dem Highlight des Albums. Fler flowt stark und kommt nach knapp einer Minute so richtig in Fahrt. Das darauffolgende "Dopeboys" klingt durch das Instrumental und Flers Autotune-Einsatz wieder stark nach einem amerikanischen Vorbild: allerdings in diesem Fall nicht Gunna, sondern Future, ebenfalls Südstaaten-Rapper.

"Good artists copy, great artists steal", wusste schon Steve Jobs. Fler als großartigen Künstler zu bezeichnen, wäre sicherlich zu viel des Guten, aber "Ketamin" und "Dopeboys" sind eher gelungene als misslungene Annäherungsversuche an Gunna und Future. Auch "Undercover" und "Victoria's Secret" fallen vor allem dank der Beats positiv auf.

Über das gesamte Album hinweg beliefert Simes den Berliner Rapper mit handwerklich stark gemachten Instrumentals, die halt oft etwas abgekupfert wirken. Fler rappt darauf technisch passabel und abwechslungsreich. Er flowt zumindest auf nationaler Ebene gesehen überdurchschnittlich gut, ohne dabei aber nah an die amerikanischen Vorbilder heranzukommen. Gunna, lässig auf den Beats schwebend, bildet eine natürliche Symbiose mit seinen Trademark-Instrumentals. Fler dagegen klingt oft angestrengt und gewöhnungsbedürftig.

Womit sich Fler thematisch auf "Atlantis" beschäftigt, lässt sich in nur einem Satz zusammenfassen. Es geht um leichte Frauen, Pateks, Bullen, Flers schwierige Kindheit und seine Feinde. Er scheut auch nicht davor zurück, Lines zu bringen, die unglaublich corny klingen. "So ein Player, sie nenn' mich DAZN", rappt er beispielsweise auf dem Intro "Kein Empfang" oder "Deutsche Rapper sind No-Names. Bist du Flizzy, dann gibt sie" auf "Shirinbae". Dass das Album gefüllt mit sexistischen Lines ist, überrascht wohl keinen.

Flers Hang zu frauenverachtenden Texten ist genauso wenig neu wie der Vorwurf, Fler sei darüberhinaus noch rassistisch. Derlei Anschuldigungen kommen aktuell von seinem ehemaligen Kollegen Jalil, mit dem er 2017 das Kollaboalbum "Epic" aufgenommen hatte. Grund für die Vorwürfe ist Flers zweiter Part auf "Mood", der unter anderem die Zeile "Im Apple Store warst du ein Slave, bei mir dann Django Unchained" enthält. Einem weiteren ehemaligen Kollegen widmet Fler gleich einen ganzen Track. "Noname" ist ein unspektakulärer Disstrack gegen Bushido, der eher auf dessen Frau als auf ihn selbst abzielt.

Die Featuregäste Summer Cem, Gringo, Sierra Kidd, Sido und Farid Bang stellt Fler größtenteils in den Schatten. Auch wenn Flers Delivery manchmal so erzwungen lässig klingt, dass sie schon wieder uncool und unlässig wirkt und inhaltlich in seinen Texten oft nur Müll herauskommt, übertrumpft der Berliner seine Gäste allein durch seine Flows.

Insgesamt ist "Atlantis" ein mäßig unterhaltsames Album. Vom Hocker reißen wird es nur Fler-Fans, die US-Rap ignorieren. Fler hat weder Charme noch Charisma. Witzig ist er meist nur unfreiwillig. Lachen kann man leider nicht mit ihm, sondern höchstens über ihn. Wer sich an Amirap-Gebite, sexistischen und teilweise hirnlosen Texten sowie der allgemein unsympathischen Persönlichkeit Fler nicht stört, der wird Gefallen an "Atlantis" finden.

Trackliste

  1. 1. Kein Empfang
  2. 2. Grind
  3. 3. Mood
  4. 4. Ketamin
  5. 5. Dopeboys
  6. 6. Null Emotion
  7. 7. Dreamer
  8. 8. Slide
  9. 9. Lost
  10. 10. Bentley Abi
  11. 11. Shirinbae
  12. 12. Undercover
  13. 13. Victoria's Secret
  14. 14. Noname
  15. 15. Zu Playa
  16. 16. Fame

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