laut.de-Kritik
Die Konzert-Doku vermittelt das Gefühl, man sei dabei gewesen.
Review von Mathias MöllerFreitagmorgen, Konstanz, 11 Uhr. Ich freue mich aufs Wochenende und schaue in meinen Stapel mit Platten und DVDs, was denn heute zu machen ist. Ah, Foo Fighters. Eine Band, die ich wegen "The Colour And The Shape" hoch schätze, auch wenn ich mich nicht als großen Fan bezeichnen würde. Eine Live-DVD harrt meiner Kritik, sicher etwas Harmloses für den Wochenausklang.
Wenn ich doch nur gewusst hätte, worauf ich mich einließ, als ich diese DVD in den Rechner schob. Ich hätte mich in einen sicht- und schalldichten Raum mit weicher Couch und Riesenmattscheibe zurückgezogen und Taschentücher bereit gelegt. Denn: "Skin And Bones" verlangt mir alles ab, im positiven Sinne, dieser Konzertmitschnitt ist von der ersten bis zur letzten Minute ein Hochgenuss. Ich bin im Begriff, ein Konzert zu sehen, das ich, wenn ich dort gewesen wäre, wohl zu den besten Liveerlebnissen meines Lebens zählen würde.
Alles fängt ganz harmlos an: ein Kameramann läuft in einem Backstagebereich Dave Grohl hinterher, der eine repetitive Melodie auf der Akustikgitarre spielt (Hilfe, das wird ein Unplugged-Gig!), vorbei an der Road Crew, in ein Zimmer, in dem ein Baby sitzt. Dave spielt leiser und schäkert mit dem Kleinen. Backstageaufnahmen halt. Schnitt. Die komplette Liveband der Akustiktour durch die USA von diesem Sommer lümmelt sich irgendwo in LA (nehme ich an) mit ihren Instrumenten auf Booten in einem Park und intoniert im Sonnenschein den Namensgeber dieser DVD "Skin And Bones". Ein erster schöner, intimer Moment, dem man beiwohnen darf. Die anspruchsvollen Kameraeinstellungen geben einen Vorgeschmack auf das, was kommt.
Zurück im Backstagebereich führt Grohl den Kameramann in den Cateringbereich, wo sich sein Anhang gerade die Teller voll lädt. "They don't like my music, they just want free snacks", scherzt der Frontmann. Über fünfeinhalb Minuten dauert dieses Intro, es gipfelt in den letzten Konzertvorbereitungen: Playlist schreiben, frisieren, Gitarre umhängen. Grohl und Band spielen und singen sich ein, dazwischen immer wieder romantisch verklärte Aufnahmen vom Moloch LA, Bilder aus dem Pantages Theater, dem Art-Deco-Venue, in dem das Konzert aufgenommen wurde. Und als es dann endlich losgeht, weiß ich bereits: ich sehen keinen einfachen Konzertmitschnitt, ich schaue einen Konzertfilm.
Als Grohl alleine mit der Akustikgitarre bewaffnet in das blaue Dunkel des Pantages Theater tritt, erhebt sich der Saal von den Stühlen. Oh ja, die Foo Fighters spielen vor bestuhltem Haus. Der Wuschelkopf lächelt gewinnend mit dem Kaugummi in der Backe und fragt unaufgeregt: "Are you ready for a little evening with me and my friends?", um dann fast wie zu sich selbt sprechend zu antworten: "Me too!" Ich muss lächeln ob der unfreiwilligen Zärtlichkeit dieser Szene. Grohl eröffnet mit einer leisen Version des Songs "Razor" vom letzten Studioalbum. Das Motiv klingt fast wie für eine Konzertgitarre geschrieben. Das Spotlight auf ihn gerichtet, erhaschen scheinbar unzählige Kameras intime Blicke auf den Mann mit der Gitarre. Hier wird nicht einfach draufgehalten, hier wird gespickt, Voyeur gespielt, erspäht und der Augenmerk auf das Unscheinbare gelegt.
Applaus brandet auf, als der Rest der Band die Bühne betritt. Neben den regulären Mitgliedern Shiflett, Mendel und Hawkins bereichern die Violinistin Petra Haden (die mit den Decemberists deren "Picaresque" einspielte), Pat Smear, Gründungsmitglied der Foo Fighters und Live-Gitarrist von Nirvana (vor allem bekannt durch seinen Gastauftritt bei "Unplugged In New York"), der Percussionist Drew Hester und Wallflowers-Tastenmann Rami Jaffee den Sound auf "Skin And Bones".
Sie sorgen zusammen für den ersten Höhepunkt. War "Razor" als Grohls Solonummer ein besinnliches Stück, steigert es sich jetzt zu einem wahnwitzigen Crescendo mit Geige, Klavier und drei Gitarren. Der Bandleader bangt im Sitzen und ich habe ein fettes Grinsen im Gesicht. So macht ein (weitgehend) stromloses Konzert Spaß! Findet auch das Publikum, und überhäuft die Fighters von Anfang an mit Lorbeeren. In der Folge bestätigt sich der erste Eindruck: das Konzert wird von den Kameras in einer raffinierten und unaufdringlichen Art und Weise festgehalten, wie man es nicht oft sieht. Alle Bandmitglieder werden gleichberechtigt in Szene gesetzt, die Bilder sind nicht atemberaubend, aber immer den Songs angemessen.
Ein wahrer Augenschmaus ist Regisseur Danny Clinch, der während "Another Round" seinen Cameo-Auftritt als Harmonika-Spieler hat, hier gelungen. Man hat das Gefühl, bei dem Konzert dabei zu sein, der Schnitt ist ebenfalls erfreulich unaufgeregt, das Licht verstärkt die Stimmungen und auch am Ton gibt es nichts auszusetzen. Zu jeder Zeit ist jedes Instrument glasklar zu hören, und wenn es bloß die Kastagnetten des Percussionisten sind. So ist eine Konzertdokumentation entstanden, von der man keine Sekunde verpassen möchte.
Zwischendurch nimmt sich Grohl viel Zeit, mit dem Publikum zu reden, denn: "One of the good things about this show is I get to sit here and talk shit for about two hours!" Ich schmunzele. Keine Frage, Grohl spielt seine Sympathiekarte aus, er hat das Publikum voll im Griff. Während des Konzerts halten sich die Foo Fighters in der Hauptsache an Nummern von "In Your Honor", deren Songs ja auch als Akustikversionen erschienen sind. Die funktionieren natürlich sehr gut, ebenso wie die eher akustischen "Walking After You" und "February Stars" von "The Colour And The Shape" oder "Next Year" von "There Is Nothing Left To Lose".
Doch auch die elektrischeren Songs sind mit ganz viel Seele intoniert und man bekommt auf "Skin And Bones" ungewöhnliche, aber mitunter wunderschöne Interpretationen zu hören und sehen. A propos wunderschön: "Walking After You" in der 2006er Version groovt langsam, fast etwas träge, und mir treibt es fast eine Träne in den Augenwinkel. Beim melancholisch umgesetzten "Still" zeigt sich, dass die banderweiternden Musiker nicht bloß Beiwerk sind, sowohl Jaffee als auch Haden erhalten mit schöner Regelmäßigkeit Gelegenheit, sich in Soli zu entfalten, letztere singt wie bei "Marigold", einer B-Seite von Nirvana, des öfteren die Zweitstimme.
Mit "My Hero" wartet der erste wahre Prüfstein auf die Band, der Hit von "The Colour And The Shape" ist im Original mit schweren Gitarren bestückt, doch die Fighters geben sich nicht den Hauch einer Blöße. Im Gegenteil, der Song wächst zu etwas ganz Großem. Grohl legt all sein Gewicht in die Stimme, das Ensemble baut ein Crescendo in allerbester Pumpkins-Manier, und zwischendurch gibt es fast schon cheesiges Pianogeklimper. Das Auditorium dankt es mit stehenden Ovationen, und ich bin versucht, Beifall zu spenden.
Zwischendurch vergisst Grohl nicht, mit dem Publikum zu scherzen, einzelne Bekannte, die er auf den Stühlen erkennt, zu grüßen ("Another good thing about these shows is, I can fucking see you"), und Anekdoten zu erzählen. Zum Beispiel, dass ihm "Next Year", auch im Original schon eine recht ruhige Nummer, als Akustiknummer noch besser gefalle. Und tatsächlich: das um ein Akkordeon angereicherte Stück funktioniert bestens. Für einen besonderen Sound sorgt hier, wie bei einigen anderen Stücken auch, die zwölfseitige Akustikaxt, gespielt von Shiflett.
Als der Achter mit Steuermann "See You" anstimmt, trifft mich fast der Schlag. Der straighte Rocksong von "The Colour And The Shape" swingt und groovt, als wären wir hier im House Of Blues. Stilecht präsentiert Grohl dazu die Band. Jaffee greift dazu in die Tasten, als befinde er sich einem verrauchten Jazzclub und nicht mit den Foo Fighters auf der Bühne. Grohl kommentiert: "What the fuck was that?" Auch Shiflett lässt sich nicht lumpen und gniedelt ein properes Blues-Solo herunter. Sein Sänger fühlt sich herausgefordert und antwortet mit einem Percussionsolo auf seiner Gitarre. Mendel hebt einfach die Hand zum Gruß, was zur Folge hat, dass sein Bass verstummt. Grohl: "Man, it's for a DVD, Nate!"
Percussionist Hester muss auf Zuruf seine verschiedenen Instrumente zur Schau stellen. Nachdem er zum Missfallen Grohls einiges ausprobiert hat, fordert das Publikum die Cowbell, und die Cowbell bekommt es. Ich hätte es ahnen müssen, und doch trifft es mich völlig unvorbereitet, als Grohl fordert: "I want you to do it!" und Hester, als die Band das Lied zurückbringt, mit der Cowbell auf der Bühne herumspringt. Eine offensichtlichere Hommage an den legendären Cowbell-Sketch aus "Saturday Night Live" kann es nicht geben. Ich breche in Stücke. Großartig!
Den Hit "Big Me" vom ersten Album widmet der ehemalige Nirvana-Drummer seinem alten Bandkollegen Smear, der ihn darauf prompt umarmt. Eine schöne Geste, bedenkt man, dass die beiden sich nicht immer grün waren. Der Titeltrack birgt mit Akkordeon- und Mandolinenuntermalung einige der stärksten Momente des Auftritts. Während "February Stars" wird mir schlagartig klar, was die Foo Fighters vorhaben. Sie wollen den Adult Oriented Rock retten. So elegisch wie hier habe ich die Fighters selten gehört.
Die musikalischen Darbietungen unterbricht Grohl immer wieder für Einlagen, die, obwohl er nur Anekdoten zum Besten gibt, wie Standup-Comedy wirken. Er scherzt über Nirvana, über Dr. Dre und das Leben im Valley: "You'd think, damn, Dave, you were in Nirvana! What are you fucking doing in the valley? Guess who's my neighbor! Dio, bitch!" Nach der letzten Nummer "Times Like These" spendet das gesamte Auditorium stehende Ovationen, folglich lässt sich Grohl nicht lange um eine Zugabe bitten.
Er kommt allein auf die Bühne zurück und erzählt erst mal zehn Minuten aus seinem Leben, Anekdoten über schlechte Partys, sein erstes Telefonat mit Kurt Cobain, wie er Nirvana kennen lernte und Kurts Schildkröten. Ich liege am Boden vor Lachen. "Friend Of A Friend" stammt aus seiner WG-Zeit mit Cobain, dieses Stück trägt er, wie "Best Of You" - bei dem sich Grohl schier die Lunge aus dem Leib brüllt - auch, alleine vor, bevor die Band für "Everlong" noch einmal ins Rampenlicht zurückkehrt. Zusammen lassen sie es noch ein letztes Mal krachen, dann folgt die Kamera der Band hinter die Bühne und es wird dunkel.
Knapp über zwei Stunden Konzert liegen hinter mir (wem das zu lang ist, der Mitschnitt ist auch mit 15 Stücken auf CD erschienen), ich habe gelacht, war gerührt, habe Gänsehaut gehabt, habe gerockt und geschwelgt. Als wäre ich dabei gewesen. Besser wird's nicht. Grohl bezeichnet die DVD während des Konzerts einmal als "Stocking stuffer", als etwas, was man zu Weihnachten seinen Liebsten in den Geschenkstrumpf steckt. Eine brillante Idee.
Noch keine Kommentare