laut.de-Kritik

Zeitlose Hits für Emokids.

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Schwarz gefärbter, gescheitelter Pony, dunkel geschminkte Augen, enge Jeans, Converse-Sneakers und Nietengürtel – in den 2000ern schwappt der Emo-Look dank Bill Kaulitz auch in Deutschland bis in den Mainstream. Doch während sich Tokio Hotel eher bei Nena und David Bowie zu Hause fühlen, frönt der Rest einem komplett anderen Genre. Emo – kurz für Emotional – versteht sich als Jugendkultur, die sich in den 1980ern und 1990ern aus dem US-amerikanischen Hardcore-Punk herausbildet.

Was mit Gruppen wie Rites Of Spring, Embrace und Fugazi begann, treiben My Chemical Romance und Jimmy Eat World auf die kommerzielle Spitze. Wo der Trennschnitt zwischen Emo, Screamo, Hardcore, Metalcore und Alternative zu ziehen ist, das weiß niemand mehr. Ist aber auch egal, denn gerade Außenstehende definieren das Subgenre auf ihre eigene (ignorante) Art und Weise. Für sie besteht die Szene aus androgynen Menschen, die ständig Liebeskummer verarbeiten und für leere Regale im Impericon-Lager sorgen.

Dass die Szene Gewinn abwirft, geht in den 2000ern auch an der Musikindustrie nicht spurlos vorüber. Denn wer mit Haarfärbemittel umgehen kann, gründet eine Band und stößt damit auf beachtliches Interesse. Eingängiger Refrain, ein paar Growls, simple Riffs und Texte über das eigene kleine Ende der Welt – fertig ist der Emo-Hit. Wöchentlich buhlen neue Bands, um das Taschengeld der von Melancholie erdrückten Zielgruppe. Plain White T's, Boys Like Girls oder Escape The Fate – wirklich kreativ sind nur noch die Bandnamen.

Funeral For A Friend (FFAF) fallen ebenfalls mit ihren Namen und entsprechenden Frisuren auf. Aber musikalisch stechen die fünf Waliser aus der Masse heraus. Mit ihrer Debüt-EP "Between Order And Model" von 2002 und der Nachfolge-EP "Four Ways To Scream Your Name" von 2003 erspielt sich die Band mit Härte und Melodie einen ordentlichen Hype. Zwei Jahre nach Gründung unterschreibt das Quintett einen Plattenvertrag beim Major-Label Atlantic Records. Das erste Album "Casually Dressed And Deep In Conversation" erscheint noch im selben Jahr.

Wer es böse meint, könnte "Casually Dressed And Deep In Conversation" als Mogelpackung bezeichnen. Besteht das Album doch hauptsächlich aus überarbeiteten Versionen bereits veröffentlichter Lieder. So erschien "Juneau" bereits auf "Between Order And Model" unter dem Titel "Juno". Das Original klingt härter, enthält deutlich mehr Brüllpassagen. "Escape Artists Never Die" von der zweiten EP erfährt hingegen eine komplette Überarbeitung im Mix. Von Star-Produzent Colin Richardson (Napalm Death, Bullet For My Valentine) poliert und auf massentauglich getrimmt, funktioniert das Album wie eine Best-of-Platte der ersten FFAF-Jahre.

Der Plan geht auf. Platz zwölf in den britischen Charts, alle drei Singles schaffen es in die Top 20. Am Ende reicht es sogar für eine Goldauszeichnung. Doch viel wichtiger: "Casually Dressed And Deep In Conversation" punktet auch bei der Kritik. "Funeral For A Friend haben etwas Erstaunliches und Beeindruckendes geschaffen, von dem sie wissen, dass sie es fast selbst tun könnten. So sehen unsere Helden aus, sie sind gewöhnlich", schrieb der NME und gab acht von zehn Sternen.

Für knapp 50 Minuten fahren Funeral For A Friend auf "Casually Dressed And Deep In Conversation" alles auf, was von einer Platte dieses Genres erwartet wird: laute Momente ("Red Is The New Black"), richtig laute Momente ("Bullet Theory"), eingängige Melodien ("Juneau"), komplexe Arrangements ("Novella") und die Akustikballade ("Your Revolution Is A Joke"). Dazu singt Matt Davies mit charismatischer Stimme – hoch und brüchig – gerade noch so kryptische Texte, dass es die Jugend fühlt: "We'll start a fire / And burn some bridges / And make it out of here tonight."

Atlantic Records melkt die Band derweil fleißig weiter. Songs landen in den Videospielen "WWE Wrestlemania 21" und "Burnout 3: Takedown" und laufen in der TV-Serie "Torchwood". Eine aufwändige DVD ergänzt das so schon unverschämt große Merchandise-Angebot. Hardcore-Fans hält das Label mit streng limitierten Vinyl-Editionen der Singles bei Laune. Nach Release tourt die Band nonstop durch Europa – unter anderem 2003 im Vorprogramm von Iron Maiden und 2004 als Support von Linkin Park auch in den USA.

Für ihr zweites Album "Hours", das 2005 erscheint, nehmen FFAF erstmals komplett neues Material auf. Die Platte klingt anders, kohärenter, dichter, weniger nach Emocore. Fans und Presse gefällt es. Mit einem erneuten Platz zwölf gibt sich auch das Label zufrieden. Danach folgt der künstlerische Kollaps. Ihr drittes und letztes Major-Album "Tales Don't Tell Themselves" geht mit Seefahrerkonzept und aalglatten Popsongs komplett unter. Die Band macht indepedent weiter und findet mit den vier folgenden Alben erfolgreich eine Nische zwischen Pop- und Hardcore-Punk.

Wie sehr FFAF immer noch an "Casually Dressed And Deep In Conversation" hängen, zeigt das bis zuletzt anhaltende Engagement für die Platte. Immer wieder spielen sie Album-only-Shows, veröffentlichen Live-DVDs und -CDs. Fans freuen sich. Hater bemängeln die fehlende Originalität. Wenn es eine Platte aus der FFAF-Diskografie verdient hat, dann jedoch diese. Denn die BBC hat schon damals erkannt: "'Casually Dressed And Deep In Conversation' wird als erstaunliches und mutiges Debüt in Erinnerung bleiben."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Rookie Of The Year
  2. 2. Bullet Theory
  3. 3. Juneau
  4. 4. Bend Your Arms To Look Like Wings
  5. 5. Escape Artists Never Die
  6. 6. Storytelling
  7. 7. Moments Forever Faded
  8. 8. She Drove Me To Daytime Television
  9. 9. Red Is The New Black
  10. 10. Your Revolution Is A Joke
  11. 11. Waking Up
  12. 12. 12- Novella

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