laut.de-Kritik
Berührendes Debüt des Youtube-Heimwerkerkings.
Review von Hannes HußSchlechte Nachrichten: Ihr lest das hier zu spät. Denn ihr könnt Fynn Kliemanns Debüt "Nie" nicht mehr kaufen. Zumindest nicht auf LP oder CD, das ging nur bis zum 28. September, dem offiziellen Veröffentlichungstag. Kliemann hatte nämlich die Idee, die Platte exakt so oft zu produzieren, wie sie vorbestellt wurde.
Den Sinn dahinter erklärt der selbsternannte Youtube-Heimwerkerking wie folgt: "Ich werde das Album nur ein einziges Mal physisch produzieren, weil ich die verschwenderische Produktion von Musik nicht so geil finde und nicht möchte, dass die Platte wegen Überproduktion irgendwann bei nem Discounter in der Grabbelschütte liegt."
Eine Plattenfirma steht hinter diesem hoffnungslos romantischen Konzept natürlich nicht. Fynn gründete sein eigenes Label Two Finger Records und stellte auch den Vertrieb selbst auf die Beine. Besonders schön an dieser Geschichte ist auch ihr Ausgang: Kliemann sammelte mehr als 96.000 Vorbestellungen, davon 23.000 Fan-Boxen. In den Charts wird man die Platte aber nicht finden, da die physischen Einheiten nicht über einen regulären Tonträgervertrieb abgerechnet werden.
So viel Leidenschaft in der Produktion der Platte steckt, steckt auch in ihrem Inhalt. Begleitet von Klavier, präzisen Drums und einer Hundertschar an verfremdeten Stimmen musiziert Fynn vor sich hin, ohne Noten oder Akkorde zu beherrschen. Dabei erinnert er von der Herangehensweise stellenweise an eine Version Element Of Crimes, stimmlich hier und da an Henning May, nur weniger angestrengt emotional.
In dieses Gerüst passen seine berührenden Texte perfekt. Musik und Lyrics greifen organisch ineinander und schaffen eine wahrhaftige Atmosphäre. Wer nach Zeilen wie "Ich bin riesig / aber du viel größer als ich / alles jetzt alles wichtig / aber wichtiger als du ist mir nichts" ("Zuhause") keine Gänsehaut hat, rasiert sich wohl täglich am ganzen Körper. Wer Fynns Stimme bei "Ich finde dieses Haus für dich Papa" ("Der Mann und das Meer") kämpfen hört und keine Träne verdrückt, muss innerlich tot sein. Wer nach "Jetzt sitzen wir mit'm Dosenbier in Sardinien / auf'm Dach / Die Tenöre aus der Stadt schicken bisschen Kitsch mit in die Nacht / An jedem andern Ort, an jedem andern Tag / hätten wir die Schönheit satt / Und schnell wieder kaputt gemacht" ("Sardinien") nicht an die Schönheit des Lebens glaubt, sollte sich mal ernsthaft Gedanken machen.
Diese intimen Momenten machen "Nie" einzigartig. Selten klang die deutsche Sprache so berührend, so unverstellt, so direkt. Ohne Umwege über Sprachbilder und Geschichten steuert jeder Song geradeaus auf das Innerste zu. Das gilt auch für "Dunkelblau", bei dem Fynn ausnahmsweise mal beobachtet. Es geht um den alternden Säufer, der seinen Schmerz in Alkohol ertränkt. "Ich stoß mit dir an / ich stoß mit dir an / auf dich und deinen Untergang" Fynn verzichtet auf Belehrungen, sondern setzt sich lieber zu ihm, um seine Einsamkeit ein bisschen zu lindern.
"Jede Wette" beschreibt Ängste, die Fynn nachts noch wachhalten. "Jede Wette, dass du gehst." Er fürchtet sich davor, die wichtigste Sache in seinem Leben (Franzi) mit seiner hyperaktiven Art irgendwann zu verprellen. Vollkommen legitim und ein weiteres Geständnis gegenüber den Hörern. Nur entwickelt sich hier kein Sog, keine Gänsehaut, dafür ist der Song zu unstet und kurz. Bei "Immer nur da" tritt die Simplizität der Instrumentierung leider zu sehr in den Vordergrund.
Beide Songs würden trotzdem auf so gut wie jedem deutschen Popalbum absolute Ausnahmestücke darstellen. Nur heißen die Ausnahmestücke auf "Nie" eben "Bau mich auseinander" oder "Der Man und das Meer", wahre Kolosse an Gefühlen: "Du baust mich auseinander / bis nichts mehr von mir übrig ist". Wenn der letzte Song "Der Mann und das Meer" dann verklingt, liegt Fynn Kliemann in seinen Einzelteilen vor uns. Auf diesem Album hat er nichts zurückgehalten und nichts ausgespart. Halbgarer Youtube-Pop einer Bibi H. ist das beileibe nicht. Vielmehr eine Selbstöffnung auf höchstem Niveau.
2 Kommentare mit 12 Antworten
Ich gehöre zu den Leuten, die die physische Scheibe zu Hause hat und ich bin sehr sehr sehr zufrieden mit der Platte. Mir kommt sie nur etwas kurz vor, auch wenn es 48 Minuten sind. Das innerliche Gefühl ist, dass es kürzer ist. Ganz seltsam. Ich kann nicht sagen, ob ich das gut oder schlecht finde. In der heavy rotation (also in einer Schleife) wird mir das Album aber doch zu repetitiv. Das habe ich bei anderen Alben weniger.
Aber der 4/5 würde ich mich anschließen. Das Album ist für sich genommen wirklich sehr gut, nur nicht für eine Schleife geeignet, was die wenigsten wohl stören wird, außer man lässt die Scheibe im CD Player des Autos laufen.
Was ich noch sagen wollte: Ich rechne es der Redaktion hoch an, dass sie diesem Album ein Review schenken. Gerade durch die eigensinnige Verbreitung des Albums, hätte ich nicht gedacht, dass das Album überhaupt in den Gehörgang eines Redakteurs landen würde. Nicenstein!
Der Typ hat Views und die machen hier alles für Klicks.
Das Album ist aber nur 35 Minuten lang, oder?
Ok, tatsächlich! Wieso hab ich denn 48 Minuten im Kopf gehabt...
Also ne EP?
Kann den Typen irgendwie nicht so richtig leiden, keine Ahnung warum.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Monaten durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Monaten durch den Autor entfernt.
Zeilen wie "...wer xy hört und keine Träne verdrückt, muss innerlich tot sein" und ähnliche Vergleiche im fünften Absatz machen die Rezension schon recht lächerlich. Klingt dann eher Fanboy-mäßig und wenig professionell.
Hey easy, einer meiner besten Freunde hat tatsächlich zu dem Album geweint. Ganz ohne Trennung.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Warum erzählt er dir das?
@despot Wie bitte? Was meinst du?
Er will wissen ob dein Freund eher das „ kleine Löffelchen“ ist?