laut.de-Kritik
Jeder Ton ist zum Bersten gefüllt mit Sehnsucht.
Review von Anastasia Hartleib"Ich war bekannt als der Typ, der nach Sternen greift." Dass Galv einmal mit Untertreibungen auf sich aufmerksam macht, hätte wohl auch niemand gedacht. Denn der Mann vom Mond ist sehr viel eher dafür bekannt, dass er mit seinem Zungenschlag Sterne zum Leuchten bringt und mit Wortsalven ganze Universen erschafft - oder wahlweise in Schutt und Asche legt. Es scheint allerdings so, als wäre vom Extraterrestrischen in "2022" nicht mehr viel übrig. Die Vergangenheitsform des Eingangszitats lässt bereits erahnen, dass der Vers nicht unbedingt gut ausgeht: "Werde wohl weiter so unbekannt bleiben, weil sie meinen Wert nicht peilen."
Und schon sind wir mittendrin in Galvs mittlerweile achter Platte. Bevor es jedoch ans Eingemachte geht, sollten erst einmal die Rahmenbedingungen geklärt werden. Diesmal hat sich Galv mit dem Musiker und Sänger Jan Faati zusammengetan, der "2022" produzierte und den Songs hin und wieder seine Stimme leiht. Die beiden arbeiteten bereits auf dem Vorgänger "Vola" zusammen und breiten ihre Kollabo nun auf Albumlänge aus.
Das Ergebnis sind 18 Tracks, die so ziemlich alles bedienen, was der musikalische Bauchladen hergibt. Zu den altbekannten, jazzig verspulten Tunes, die Galv seit jeher begleiten, gesellen sich mal dezente R'n'B-Vibes, düstere Trap-Beats, breite Synth-Ebenen, dramatische Piano-Einlagen und Grime-Anleihen. Es ist also recht viel los auf - zumindest in der Breite. Zwar gibt es hier und da ein paar eingängige Rhythmen und anregende Parts - vor allem, wenn organische Instrumente zum Einsatz kommen. Größtenteils bleiben die Produktionen allerdings recht flach und beschränken sich auf Andeutungen, denn auf wirkliches Eintauchen.
So entsteht ein etwas wild-verworrener und eher unzusammenhängender Gesamteindruck, der vor allem mit abrupten Stilwechseln auf sich aufmerksam macht. Zumindest zeigen sich die musikalische und inhaltliche Ebene kohärent, denn auch Galv tut sich schwer, eine Struktur zu finden. Sucht man nach dem roten Faden des Albums, findet man den vor allem mit der eingangs erwähnten Unzufriedenheit über den mangelnden Erfolg. Auf beinahe allen Tracks hadert Galv mit seiner Position - die zugegebenermaßen schwierig ist. "Wir sind stolz - so untergrund wie man nur sein kann / doch das ist mitunter der Grund, wenn ich die Miete nicht zahlen kann", rappt er auf "Verantwortung". Oder in "Mein Bestes": "Nein, es ging niemals um den Fame / aber ganz ehrlich - was soll ich denn tun? / um davon zu leben müssens Leute sehen / und es sind einfach nicht genug." Auch in "Ich will" und "Die Zwei" lässt er sich darüber aus.
Und auch, wenn Galv hier und da versucht, es seinem Publikum schön zu reden - dass er auch für den letzten Platz der Charts rappt und "Bitterkeit in Stärke" verwandelt - man kauft es ihm kaum ab. Dafür ist der Frust zu deutlich zu spüren. Das ist schade, denn dieser sorgt dafür, dass vielversprechende Gedankenkonstrukte im Sande verlaufen, und die Highlights etwas weniger stark strahlen. Denn es gibt sie auf "2022", die Galv-Momente. Die absurd starken Wortspiele, die mit einem Vers Bildwelten erschaffen: "Lass uns reden von Verantwortung / von den Strophen verloren in der Handschrift / wie tausend Pirogen in den Wogen des Atlantiks." Die größenwahnsinnig surrealen Träume: "Ich will die Beatles sehen und Bob Marley / nie wieder durch Türen gehen - nur noch Portale."
Dann gibt es da die "Ballade". Einen derart rohen und direkten Moment, der so viel Schlagkraft hat, dass einem kurz die Luft wegbleibt. Die "Ballade" ist absolut reduziert - ein Piano, dezente Synths, Stimme. Und: Gefühl. Verdammt viel Gefühl. So viel, dass Galv sich nicht hinter tausend Reimketten versteckt, sondern den begnadeten Liedermacher in sich gewähren lässt. Jeder Ton ist zum Bersten gefüllt mit Sehnsucht, jedes Wort fühlt sich an wie das genau richtige. "Ich hab schon so viel geschrieben, meine Texte füllen Bücher / doch was bringen all die Lieder, ja die ganzen Theorien mir / wenn ich's nicht erklären kann, diese Sehnsucht, das Verlangen / endlich deine ganze eigne Aufmerksamkeit zu erlangen."
Es ist das ungefilterte Bauchgefühl, dass die "Ballade" so herausragend macht. Der Track kommt so unvermittelt zwischen einem MC Rene-Feature und einem hart grollenden Trap-Beat, dass man am liebsten kurz pausieren möchte, um dem Song, dieser Kraft hinterherzuspüren.
Es ist dieser eine große Moment, der den Hörenden vermittelt: Da ist noch was. Denn auch, wenn es auf "2022" streckenweise so klingt, als wäre Galv der Treibstoff ausgegangen und treibe nun ziellos durchs All, merkt man: Das Feuer brennt noch. Und wenn es in die richtige Richtung geht, wenn die Leidenschaft wieder die Oberhand gewinnt, dann brennt Galv wieder so heiß, dass er Schöpfungsgeschichte schreiben kann.
1 Kommentar
"Die 2" ist so ein verficktes Brett...Rest fällt da ab, leider.