laut.de-Kritik

Es gibt Dinge, die lassen einen nicht mehr los.

Review von

1995! Ist es tatsächlich so lange her? Ein paar Jährchen und vier Alben später ist gewiss - Garbage haben einen großen Fundus aufregender Songs und spannender Clips hinterlassen. Doch 1995, als ich das Video zur Single "Queer" zum ersten Male im TV sah, fühlte ich mich noch unentschlossen.

Es machte mir irgendwie Angst, dieses blasse Mädchen mit seinen eigenartigen, hypnotisierenden Augen und seiner zauseligen Rothaar-Frisur, gleichwohl mir der Song von Mal zu Mal besser gefiel. Den endgültigen Ausschlag gab schließlich ein Interview, das ich in jenen Tagen las. Darin wurde Shirley Manson mit dem Satz zitiert: "Ich brauche einen Mann, der mich in seinen Bauchnabel pissen lässt". Am nächsten Tag rannte ich atemlos zu Karstadt und erstand Garbages erstes Album.

Die CDs von Shirley und ihren Mannen haben noch immer einen nah am CD-Player liegenden Platz im Regal. Ab jetzt ergänzt durch die erste Werkschau der Band, die ausgesuchte Highlights der bisherigen Arbeit Revue passieren lässt. Ein Blick auf die Tracklist: Immerhin ein brandneuer, bislang unveröffentlichter Titel ist als Leckerli beigegeben - brav der Aufstellung folgend, werde ich ihn mir gegen Ende zu Gemüte führen.

Rund zwölf Jahre Garbage. Was bleibt? Was ist mit wahrhaftigem Hör-Nährwert versehen? Die Band präsentierte sich 1995 natürlich nicht als Zukunft des R'n'R - doch da gibts auch heute noch keinen. Aber ihr eigener Stil des popkulturellen Zitate-Mixens, eingebettet in harsche Gitarrenwände und Rhythmen zwischen Pop, Grunge, Rock und Gelegenheits-Punk, garniert mit der charismatischen Frontfrau, sorgt damals wie heute für Tanzbarkeit und hörselige Kurzweil.

"Vow", ein geradezu typischer Garbage-Song des Debüt-Albums, gibt auf der Best Of den Opener und vereint typische Band-Ingredenzien: Lärmendes E-Gitarren-Schrammeln, vorwärtstreibende Drums und Miss Mansons eindringlicher Leadgesang. Ein freundlicher Poprock-Happen, dem der weltweite Charts-Öffner "Queer" folgt: Verführerisch spielt Shirley mit den Doppeldeutigkeiten des Titel-Wörtchens, vom Arrangement her ungemein packend in Szene gesetzt.

Bei "Only Happens When It Rains" steigt mir zunächst das dazugehörige, bonbonfarbene Schmuddel-Video mit Shirley im Minikleid ins Gedächtnis. Ein noch immer frischer, vorwärtstreibender Track, dem das vorzügliche "Stupid Girl" folgt. "Push It" vom zweiten Album "Version 2.0" ist und bleibt noch immer die Belanglosigkeit, die der Titel bereits zu Veröffentlichungs-Zeiten war, trotz der enthaltenen "Don't Worry Baby"-Zitaten der wunderbaren Beach Boys. "I Think I'm Paranoid" variiert den besonderen Glanz der besten Garbage-Songs umso eindrucksvoller.

Neuerliche Videoclip-Erinnerungen weckt das musikalisch Pretenders-trunkene "Special": Shirley in schrägem Manga-Make-Up hinter dem Steuer eines Kampffliegers, die Schar der Bösewichte als unbezwingbare, rote Baronesse von Richthofen heldenhaft vom Feld der Ehre fegend. "When I Grow Up" begeistert mit fröhlichem Sixties-Girlgroup-Appeal.

Das große musik-historische Augenzwinkern gelingt in der Titelmusik zum 1999 über die Leinwände flimmernden Bond-Streifen "Die Welt Ist Nicht Genug": In diesem Track vereinen Garbage eine Menge historischer 007-Song-Elemente der Connery-Ära in eine gelungene Zitate-Scharade, eingebettet irgendwo zwischen Shirley Basseys "Diamonds Are Forever" und Nancy Sinatras "You Only Live Twice". Das dazugehörige Video - Shirley präsentiert ein packendes Vier-Minuten-Agentendrama inklusive Doppelrolle, gewandet in ein todschickes, blutrotes Abendkleid - ist fast spannender als das eigentliche Kino-Epos selbst.

Als vorletzter Track der Kompilation perlt endlich der brandneue Track aus den Boxen: "Tell Me Where It Hurts". Volltreffer! Eine geradezu klassische Garbage-Komposition mit betörender Leadsängerin: Mit großer Geste inszeniert, romantisch verbrämt, und in seinem völlig überkandidelten Arrangement ein erneuter Beweis dafür, dass Garbage die einzig wahren Erben der "Wall Of Sound" Phil Spectors darstellen. Welch große, berührende, schwelgerische Pop-Umarmung! Dagegen fällt der abschließende Remix von "It's All Over But The Crying" zwangsläufig ein wenig ab.

Einziger Wermutstropfen: Das wunderbare "Fix Me Now", einer der famosesten Garbage-Songs, hat den Weg auf das vorliegende Album nicht gefunden. Das mag daran liegen, dass das Band-Debüt vielleicht zu präsent in diese Zusammenstellung eingeflochten wurde. Ebenso fehlt der laszive "Androgyny"-Track vom Drittling "Beautiful Garbage". Seis drum. "Absolute Garbage" bietet alten Fans auf jeden Fall Neuigkeiten (in Form von behutsam überarbeiteten Digital-Remastered-Fassungen und dem fulminanten, neuen Track). Für Einsteiger gibts eine große Handvoll wegweisender Nummern aus der Band-Historie.

Ebenfalls erhältlich zur einfachen Best Of ist ab Ende August eine separate DVD-Edition. Die bereits erhältliche Special Edition zu "Absolute Garbage"enthält auf einer zweiten CD ausschließlich Remixe von 13 Tracks (hier inklusive "Androgyny"). Hilft also alles nichts: Wie damals sind die Wege zu Karstadt wieder vorprogrammiert. Es gibt Dinge, die lassen einen einfach nicht mehr los.

Trackliste

  1. 1. Vow
  2. 2. Queer
  3. 3. Only Happy When It Rains
  4. 4. Stupid Girl
  5. 5. Milk
  6. 6. #1 Crush
  7. 7. Push It
  8. 8. I Think I'm Paranoid
  9. 9. Special
  10. 10. When I Grow Up
  11. 11. You Look So Fine
  12. 12. The World Is Not Enough
  13. 13. Cherry Lips (Go Baby Go!)
  14. 14. Shut Your Mouth
  15. 15. Why Do You Love Me
  16. 16. Bleed Like Me
  17. 17. Tell Me Where It Hurts
  18. 18. It's All Over But The Crying

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