laut.de-Kritik
Numan goes Industrial: Der New Wave-Hero schlägt zurück.
Review von Michael SchuhWo war dieser Mann die letzten Jahre? Man weiß es nicht genau. Glaubt man britischen Medien, hat er beinahe Jahr für Jahr fleißig Platten veröffentlicht. Hierzulande reduziert man Numan weiterhin hartnäckig auf "Cars", seinen Topseller von 1979, und wechselt sodann das Thema.
Auch ich denke, in der Gewalt nostalgischer Verklärung, nach den ersten Tönen von "Pure" mit Dollarzeichen in den Augen an eine seltene Fehlpressung. Doch schnell wird klar: Old Gary hat sich wirklich für's Rocken entschieden. Im musikalischen Exil befand sich das New Wave-Urgetier dabei nicht. Schon der Einstiegssong ist ein Industrial-Rockhammer par excellence. Sanfte Pianoklänge werden von einem Gitarrenstakkato gesprengt, das Trent Reznor zur Ehre gereicht hätte, die Melodie bei all dem Getöse betörend und klar im Vordergrund.
Gefolgt von dem hymnischen "Walking With Shadows", das ebenso beharrlich auf groovender Elektronik, atmosphärisch krachenden Gitarren und eindringlichen Vocals aufbaut, darf man sich fragen: Ist das hier nur gut aufbereiteter Eklektizismus oder wirkliche, in Unheil verkündende Crossover-Gewänder gehüllte Seelenpein?
Dass wir es bei "Pure" mit den düsteren Seiten des Lebens zu tun haben, prognostiziert schon das Cover. Numan, schwarz gekleidet, posiert in messianischer Haltung vor einem Himmelsbild, das den Weltuntergang geradezu herauf beschwört. Dies findet seine Fortsetzung in den Lyrics, in denen sich Schmerz, Verlust, Intrigen, Sünden, Gott und schließlich der Tod den Grenzen des eigenen Seins bedrohlich annähern.
Düsternis galore also, und hätte ich die Wahl, mit "Pure" auf dem Disc-Man nach 22 Uhr durch den finsteren Wald laufen oder Marilyn Manson ungeschminkt treffen zu müssen, ich käme zu keiner spontanen Antwort. A propos Manson, natürlich denkt man bei Numans Flüstern genauso an ihn, wie in Sachen Sound und Spannungsaufbau an die allgegenwärtigen Nine Inch Nails.
Aber erstens gibt es garantiert schlimmere Vergleiche und zweitens, was zählen Einflüsse, wenn das Ergebnis derart vielschichtig und ergreifend aus den Boxen wabert, wie die neue Numan? Gib GARY eine Chance!
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