laut.de-Kritik

Musikalisches Downgrade auf hohem Niveau.

Review von

Ratingagenturen wie Musikkritiker übernehmen eine große Verantwortung. Immerhin kann die Degradierung eines Produkts gravierende wirtschaftliche Folgen haben. Auf dem Cover zu Gerards fünftem Album prangt nun noch die Triple-A-Bewertung, die sich der Rapper mit "Blausicht" auch redlich verdient hat. Ob diese allerdings weiterhin gültig ist, gilt es erst noch zu überprüfen.

Der melancholische Grundton sowie die synthielastigen, atmosphärischen Produktionen sind erhalten geblieben. Auch an Gerards schnörkellosem Vortrag hat sich wenig verändert. Die reflektierten Verse seiner letzten beiden Veröffentlichungen sind allerdings über weite Strecken unverbindlichen Texten gewichen. Stücke wie "Mehr" oder "Moonbotica Mond" sind derart wenig konkret, dass praktisch jeder Hörer sich darin wiederfindet. Damit unterscheidet sich Gerard zuweilen kaum von den "neuen deutschen Pop-Poeten" um Bendzko und Bourani.

Auch die Beschreibung gewöhnlicher Szenen, hinterlässt einen arg einfallslosen Eindruck: "Bester Morgen, die Bäckerin fragt den vor mir, ob er sonst noch 'nen Wunsch hat. Er bezahlt und sagt: 'Ja, klar, aber dabei können Sie mir leider nicht helfen.' Dann reicht sie ihm sein Wechselgeld und lächelt." Handelt es sich hierbei um den berühmten österreichischen Humor? Bei Josef Hader kommt das alles eine Spur bissiger daher.

Gerard behandelt auch immer wieder zwar nachvollziehbar nervige Umstände, die dennoch mit dem Etikett "Erste-Welt-Probleme" versehen werden müssen: "Ich schau, wann die U-Bahn kommt, doch sie fährt nicht. Jaja, Schienenersatzverkehr, my ass, wofür zahl' ich?" In "Luftlöcher" beweist Gerard allerdings auch, dass er sich über die Bedeutung seiner alltäglichen Handicaps durchaus im Klaren ist: "Ich habe es vergessen, dass andere Menschen, wenn sie meine Probleme hätten, die glücklichsten Menschen der Welt wären."

Doch "Luftlöcher" bringt noch mehr dar. So liebäugelt Gerard mit dem bevorstehenden Untergang, den er als Folge spätrömischer Dekadenz skizziert: "Es hat uns keiner gewarnt davor, was passiert, wenn alles mal kollabiert. Wir hatten zu viel von allem und jetzt stehen wir in den Trümmern davon." Damit ähnelt der Song inhaltlich durchaus "XOXO". Nur vermittelt Casper seine Wut glaubhaft, womit er sich den Stempel "Emo-Rap" im besten Sinne verdient hat.

Gerard zäunt seine Systemkritik brav in leicht konsumierbarer Popmusik ein: "Maske über den Kopf und dann schmeiße ich Molotowcocktails mit Blumen wie in diesem Banksy-Bild. Denn was tun, wenn nicht mal mehr das Wegsehen hilft?" Naja, ein erster Schritt wäre es, der Misere musikalisch adäquat zu begegnen. Audio88 & Yassin, K.I.Z. oder Kraftklub bilden da mögliche Orientierungspunkte.

"AAA" bietet allerdings auch einige gelungene Themensongs wie etwa "Fliege davon". Darin setzt sich der Rapper mit Personen auseinander, die seine Ambitionen ausbremsen wollen: "Du sagst, ich überschätz' mein Können. Ich sag', du unterschätzt mein Wollen." Besonders schmerzhaft scheint die Erkenntnis, alten Freunden entlaufen zu sein: "Heute finden wir nichts mehr zu reden, außer Erlebnissen der vergangenen Zeit. Ich erzähle dir von meinen Plänen. Du verdrehst die Augen, sagst, ich übertreib'. Aber dein Genug ist noch lange nicht meins."

Im Zweifel hilft da nur noch, alte Zöpfe abzuschneiden: "Menschen, die mir sagen, es ist nicht möglich, denen flieg' ich einfach davon." Das erinnert an Arnold Schwarzenegger, einem weiteren prominenten Österreicher, der in seinen Motivationsreden gerne betont: "Wenn ich auf die Neinsager gehört hätte, würde ich noch immer in den österreichischen Alpen leben und jodeln." Eine vorbildhafte Erkenntnis des Gouvernators.

"Jetpacks" überzeugt mit einer fortschrittskritischen Attitude. Gerard bemängelt die überstürzte technologische Entwicklung, die zwischen künstlicher Intelligenz und selbstfahrenden Autos die Menschlichkeit verdrängt: "Maschinenmenschen sind irgendwann nicht zu bändigen. Sie beginnen selbstständig zu denken. Wir wollen nicht mehr selber lenken, nicht mehr selber fahren. Fortschritt nicht mehr linear. Vorsicht ist hier nicht gefragt, egal. Schnell, schnell, exponentiell in die Höhe. Verantwortung heißt der Preis der Größe."

So liefert Gerards neuestes Werk doch noch einige Gründe, den Österreicher weiterhin auf dem Schirm zu behalten. Dennoch bleibt das erste über sein eigenes Label "Futuresfuture" veröffentlichte Album hinter seinen beiden Vorgängern zurück. Für die anvisierte Wertung muss deshalb leider ein Downgrade auf AA- erfolgen. Oder wie es in der Wirtschaftswissenschaft beschrieben wird: "Sichere Anlage, Ausfallrisiko so gut wie vernachlässigbar, längerfristig aber etwas schwerer einzuschätzen." Das trifft es genau.

Trackliste

  1. 1. Chaos
  2. 2. Mehr
  3. 3. Konichiwa
  4. 4. Play/Skip (mit Naked Cameo)
  5. 5. Luftlöcher
  6. 6. Fliege Davon (mit Schönbrunner Gloriettenstürmer)
  7. 7. The Streets
  8. 8. Wolken Aus Gold
  9. 9. Jetpacks
  10. 10. Moonbotica Mond
  11. 11. Eins Zu Eins
  12. 12. Frösche (mit I Salute)

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8 Kommentare mit 26 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Nicht so gut wie Vorgänger, zumindest was die Raps angeht. Den Beats kann ich sehr viel abgewinnen. Aber irgendwie kommt an vielen Stellen seine eigene Art zu texten nicht so rüber wie früher. An Blausicht ist er bis jetzt jedes Mal gescheitert, sein Meisterwerk. Gehe mit der Rezension ziemlich mit!
    Erwähnenswert ist vielleicht noch das beinahe unhörbare Intro. Bahh!

  • Vor 7 Jahren

    Noch ne Ergänzung: Das mit dieser Backstage Box ist, wie zu erwarten war, der absolute Scheiß. Man hätte die CD auch einfach so verkaufen können ohne irgendwelche Handynummern. Es war mir zwar von vornherein klar, dass da nichts großartiges bei rumkommen kann, was tatsächlich dabei rumkam ist aber wirklich unterwältigend. Bis jetzt 5 Sprachnachrichten oder so, wow großartig. Aus reiner Neugier auch mal ne Frage gestellt: Wird natürlich nicht beantwortet. Ob er sie gelesen hat... ich wage es zu bezweifeln.

  • Vor 7 Jahren

    Blau Allnet L ist auf jeden Fall die spannendere Veröffentlichung dieser Woche