laut.de-Kritik

Ein Sound, so warm wie die Küsten Spaniens.

Review von

Zwischen den beiden Polen Spanien und Großbritannien wuchs der Urban-Indiepop-Musiker Gizmo Varillas auf. Im Kindesalter war sein Vater der wichtigste Bezugspunkt. Er vermittelte ihm unterschiedlichste Musik, spanischen Eighties-Pop, Pink Floyd oder Mike Oldfield. Dieses musikalische Feeling verband sich mit dem Meer an der Küste von Cantabria. Die Welt damals war bunt, quasi "The World In Colour". Eine Kassette im Tape-Rekorder von Papas Auto fungierte als Soundtrack dieser Zeit. Und "Follow The Sun" passt dazu perfekt. Der Song klingt so idyllisch, wie es die warmen Strände waren.

Dann wurde Gizmo aus der Welt seines Vaters herausgerissen. Mit zog zu seiner Mutter ins regnerische England und zog sich immer mehr zurück. Dieser Bruch war heftig. Gefühlsmäßig sackte er zwischen Traurigkeit und depressiver Abgestumpftheit ab und nahm seine Welt nurmehr in Grautönen wahr. Seine emotional angelegte Musik hielt ihn psychisch stets über Wasser, auch, wenn er im Genesungsprozess regelmäßig an "Crossroads" gelangte und lernen musste, richtig abzubiegen. Parallel arbeitete er in der Gastronomie. Mittlerweile ist er verheiratet und als Wahl glücklich geworden. Das Paar lebt in einem ruhigen Ort in Küstennähe ein, wo Varillas auch seine Heimstudio betreibt. Dort konnte das neue Album in Ruhe reifen.

Der Klangtüftler experimentierte mit einer immensen Zahl an Percussion-Instrumenten aus verschiedenen Kulturen, insbesondere lateinamerikanischen. Sie verleihen seiner Musik oft einen weltläufigen, ein bisschen exotischen Flair zwischen Flamenco, kubanischem Son und Mestizo-Rock. Während Gizmo in den eigenen vier Wänden tendenziell selbsttherapeutische Texte voller Metaphern, Bilder und Symbolsprache formuliert, ist das Spielen vor Live-Publikum sein Lebenselixier geworden.

In der wunderschönen, warmen Traurigkeit der neuen Stücke spiegeln sich Gizmos Wesenszüge wider: ein melancholisches Naturell und Problembewusstsein. Sie kennzeichnen das hippieske "Where Is The Love" ebenso wie das eingängige "Under The Weight" und "End Of The Line". Varillas empfiehlt sich passgenau den Fans von Turin Brakes und quiet-is-the-new-loud-Welle. Auch wer atmosphärische E-Orgel und süße Melodien mag, ist hier richtig.

Auch auf der cheesy Yachtpop-Ebene zwischen Doobie Brothers und Tame Impala tut sich einiges. Diese Kompetenz ist wohl der Hauptgrund, weshalb der Multiinstrumentalist schon seit Jahren ein Geheimtipp für Indie-Hörer:innen ist. Und zwar speziell solchen, die Elektro mögen, aber auch Gitarren-Riffs und fiebrige Percussions ("Still Holdin' On").

In den anrührenden Harmonien von "Hijo Del Mar" singt Gizmo auf Spanisch, gleichfalls in "Desde El Otro Lado" und im ausgesprochen persönlichen "Ojos Nuevos". Die Hookline "Oh ho ho con ojos nuevos" setzt sich beim Hören schnell fest. Der Songwriter trägt hier seine Schlussfolgerung aus dem angesprochenen, einschneidenden Erlebnis vor: Sein Vater weilte in all den Jahren weiter in Spanien, und eines Tages erfuhr Varillas von dessen schwerer Krebsdiagnose. Er fuhr zu ihm und spürte sofort: Sein Vater würde sterben. "Ojos Nuevos" entstand am Tag seines Todes.

Das trompetenbasierte Lied verarbeitet die Vater-Sohn-Beziehung, Erinnerungen ziehen, ja, rasen vorbei. "Denn eigentlich war ich gerade dabei gewesen, nach Jahren ohne Kontakt eine neue Beziehung zu meinem Vater aufzubauen", reflektiert Gizmo im Interview. "Der Song ist ein großer Teil von mir." Beim ersten Hören scheint es sich um einen relaxt romantischen Soundtrack zum Sonnenuntergang zu handeln. Doch es steckt Tiefschürfendes dahinter. "Das Lied handelt davon, die Welt durch andere Augen hindurch zu sehen. Statt über den Tod dachte ich über das Leben nach. Wir haben viel weniger Lebenszeit als wir denken und sollten möglichst viel daraus machen."

Auf Alfredo Pinos Trompete, dessen Spiel er als Glasur des Kuchens sieht, hatte er schon beim seinem vorherigen Album zurückgegriffen. Auch, wenn der Fokus bei "The World In Colour" auf dem Selfmade-Recording lag, und er in Dreier-Besetzung auf Tour geht. "Ich liebe den durchsäbelnden und kraftvollen Klang der Trompete", meint Gizmo. "Wisst ihr, ich würde das Instrument gerne spielen können. Sobald man diese Zutat hinzufügt, zementiert sie den Track als Ganzes, mit ihrer emotionalen Wirkung."

"The World In Colour" ist unterm Strich eine gefühlvolle Platte ohne Pathos, die man lässig nebenbei hören kann, die sich aber genauso dafür eignet, sie Zeile für Zeile als Singer/Songwriter-Opus im Sinne eines Nick Drake auf die Goldwaage zu legen. Die schönen Arrangements stechen im Worldpop-, Folk-Electro- und Rhythm-and-Rhyme-Segment angenehm hervor. Und in den kurzweiligen Melodien finden sich ein paar wirklich zeitlose Songs.

Trackliste

  1. 1. Follow The Sun
  2. 2. Crossroads
  3. 3. Ojos Nuevos
  4. 4. Where Is The Love
  5. 5. Still Holdin' On
  6. 6. Under The Weight
  7. 7. Into The Night
  8. 8. The World In Colour
  9. 9. Desde El Otro Lado
  10. 10. End Of The Line
  11. 11. Hijo Del Mar

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