laut.de-Kritik

Wahnwitz aus Soul, Elektronik, Gospel, Hip Hop und Freakshow.

Review von

"Ein Album, das an der Spitze der Charts steht, ist Pop." Manchmal schätze ich Machtworte aus meiner Chefetage sehr. In diesem Fall bewahren sie mich vor der unmöglichen Aufgabe, dem Wahnwitz aus Soul, New Orleans-Karneval, Elektronik, Gospel, Hip Hop und Freakshow, als der sich "St. Elsewhere" entpuppt, ein Etikett aufkleben zu müssen.

Wenn sich einer der angesagtesten Hip Hop-Produzenten unserer Tage mit der Soul-Maschine aus den Dungeons des tiefen Südens zusammenschließt, kann alles passieren. Ich hätte keine Prognose gewagt, wohin eine Kollabo zwischen Danger Mouse und dem Crooner-Monster Cee-Lo Green wohl führen mag. Ich hätte ohnehin daneben gelegen: Meine Phantasie erweist sich als um Welten zu beschränkt, als dass ich mir einen derart irrsinnigen, farbenfrohen, an musikalischen wie inhaltlichen Einfällen überschäumenden Wurstsalat hätte ausmalen können.

Zu allem bereit? Dann auf nach "St. Elsewhere", wo einem "Go Go Gadget Gospel" einen atemberaubenden Empfang bereitet: Cee-Lo gibt mit seinem überaus markanten Gesang den Zeremonienmeister in einer Zirkusarena auf Speed. Wie auch immer dieser Trip ausfallen wird: Langeweile wird sich schwer tun.

Woher Danger Mouse seine Samples nimmt, möchte ich gar nicht wissen. Herzerfrischend respektlos bedient er sich schrappender Gitarren, soultriefender Backgroundgesänge und spaciger Elektrosounds und erweist sich mit diesem eklektischen Instrumentarium als wahrer Meister-Createur von Stimmungen und Befindlichkeiten.

Ungeheuer im Schrank? Die Maus zaubert einem "Boogie Monster" ebenso mühelos eine bedrohliche Kulisse aus dem Hut, wie sie "Feng Shui" mittels Glöckchen und Plastikstreichern mit einen Asia-Touch versieht. Spanisch anmutende Gitarreneinsprengsel verzieren den mächtigen Bassdonner von "Just A Thought". Auf ganzer Länge zeigt sich eine Vielschichtigkeit, der man nach dreißigmaligem Hören immer noch lange nicht Herr geworden ist.

Für den Rhythmus von "Smiley Faces" hat wohl "You Can't Hurry Love" Pate gestanden - und ich denke ausdrücklich nicht an die von Phil Collins kastrierte Version. Ich fühle mich, wie bei den Supremes zu Hause. Einem Einigeln in 70er-Jahre-Retro-Laune wirkt Danger Mouse mit gekonnt platzierten Stilbrüchen allerdings stets wirksam entgegen.

"Crazy" - mittlerweile recht überstrapaziert - setzt sich mit einem hypnotischen, von Streichern dominierten Refrain derart im Gehör fest, dass man Hammer und Meißel bräuchte, um es da wieder herauszuholen. Ohne Sauerei ginge das wohl kaum ab. Lassen wir es also besser drin und beglückwünschen Zane Lowe zu seiner exzellenten Wahl: Schwer vorstellbar, dass eine BBC-Show jemals ein bestechenderes Werbe-Jingle besaß.

In diesen phantastischen Soundlandschaften entfaltet ein singendes Chamäleon den Facettenreichtum seiner Stimme. Schmachtender Soul ("The Last Time"), schräge Töne ("Gone Daddy Gone"), finstere Highspeed-Raps ("Transformer") oder - von Freakpower bis Dälek - alles zusammen ("On-Line"): Mein lieber Herr Gesangsverein, dein Name ist Cee-Lo Green!

Merke: So also klingt "Pop".

Trackliste

  1. 1. Go Go Gadget Gospel
  2. 2. Crazy
  3. 3. St. Elsewhere
  4. 4. Gone Daddy Gone
  5. 5. Smiley Faces
  6. 6. The Boogie Monster
  7. 7. Feng Shui
  8. 8. Just A Thought
  9. 9. Transformer
  10. 10. Who Cares
  11. 11. On Line
  12. 12. Necromancing
  13. 13. Storm Coming
  14. 14. The Last Time

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