laut.de-Kritik
Posaune, Politik, edle Harmonien on a one drop beat.
Review von Philipp KauseProfessor Harrison Stafford ist ein Amerikaner aus einer Familie von Jazzmusikern mit einem sehr langen Bart, nicht der typischste aller Reggaemusiker und neben Matisyahu einer der stilbildendsten Individualisten des Genres. Der Bandleader aus dem Raum San Francisco gründete vor einem Vierteljahrhundert Groundation. Übersetzen kann man den Namen in etwa mit 'Grundierung', und das deutet schon an: Ganz easy findet man nicht in die Gedankenwelt dieser Combo, für die es sich auf jeden Fall lohnt Zeit mit zu bringen. Denn auch der Sound auf dem neuen Album "One Rock" setzt voraus, dass man sich darauf einlässt und sich nicht nebenbei berieseln lässt. Trifft einen die Musik in der richtigen Situation, hat sie derweil viel zu geben.
So dockt sie mehr als frühere Alben direkt an die Roots-Musik der '70er an. "One Rock" lässt das Herz aufgehen bei Leuten, die das einzig Wahre, die 'pure roots' im Reggae anhand der spirituellsten und unverfälschtesten Protagonisten suchen: The Abyssinians, The Congos, Israel Vibration ... Bei diesen Namen klingelt's doch, und Vokalisten aus diesen legendären (und sporadisch noch aktiven) Gruppen eröffnen die LP mit dem "Original Riddim" oder beehren das Titelstück "One Rock" und den Closer "Iron". Neben dem hingebungsvollen Gesang stimmt diese Besetzung auch auf den thematischen Radius ein.
Groundation spezialisierten sich stets auf sozialkritische Texte - auf dem Vorgänger "Next Generation" waren 2018 Klima und fossile Energien dran -, und jetzt durchziehen Kritik an Digitalisierung ("Day When The Computer Done"), an Rassismus, Bewaffnung und Söldnertum ("Human Race") und an kapitalistischer Gier ("Greed") die Scheibe "One Rock". Mehrere Stücke zitieren dabei die Bibel und insbesondere das Alte Testament. Denn wenn man dort nachlese, sei es "Absolutely Clear", wie das Prinzip des Kapitalismus aufgebaut sei und alles einem "Market Price" unterliege.
"The rich go to the spoils / so they must come to decide", "Die Reichen ziehen zu ihrer Beute / also dürfen sie auch mit entscheiden", man kennt es, nennen wir's das Scheuer-Dobrindt-Modell: Bist du aus meinem Heimatort und hast ganz viel Geld, dann bist du mein Master-Wähler und ich repräsentiere vor allem dich ... und die anderen Millionen Wähler*innen, die mich gewählt haben, müssen erst mal genauso viel Geld haben.
Staffords Lyrik zeigt sich inhaltsreich, gallig, mitunter weise, teils sarkastisch (wohl ohne das zu beabsichtigen?), jedenfalls kritisch. Balsam auf die Seelen seiner Zielgruppe. Irgendwann beschleicht einen dann das Gefühl, es sei jetzt alles oft Gesagte über 'Babylon' oft genug gesagt, und es fehlen ein bisschen die konkreten, aktuellen Beispiele, die bei Romeo, Cocoa Tea, Richie Spice oder Agent Sasco das Salz in die Suppe rieseln lassen. Es fehlt auch die kantige, bissige Formulierungsgewalt eines Jesse Royal mit Zeilen, die effektiv im Ohr bleiben. Aber sei's drum, "One Rock" funktioniert als Themenalbum über das greedy Babylon durchaus stimmig.
Das ist den edlen Harmoniefolgen, den elegischen Melodien und der spannenden Instrumentierung zu verdanken. Die aktuelle und große Groundation-Besetzung fährt wieder üppiges und brillantes Handwerk auf, teils mit Jazz-Ausbildung im Rücken. Hammond-Orgel, das von Stevie Wonder bekannte Clavinet, Posaune und Trompete bekommen ausreichend Platz, um malerische Sounddesigns auszuführen. Die sind vor allem ästhetisch und niemals wild, was diese Musik so schwer zugänglich macht. Wuchtig, prall, nicht das, was man unter Reggae als leichter Sommerbrise versteht, schon gar nicht jamaikanisch, weil das karibische Gerüst aus Bass und Drums eine untergeordnete Rolle unter den Höhentönen spielt.
Groundations Musik zündet in aller Regel live besonders fett. Das zeigte schon der Live-Longplayer "The Next Generation Live" 2020 eindrucksvoll. Mit Gigs in Dortmund, Berlin, open air in Wassertrüdingen, Wien, Bersenbrück und auf der Burg Herzberg sowie sehr vielen weiteren Festival-Auftritten in Europa (insgesamt fast 50 Terminen) setzt die Band zu einer langen Tournee an und lässt es zwar nur zart rocken, rammt aber mit "One Rock" (der 'eine Felsbrocken' ist laut Artwork der Planet) auf jeden Fall Arrangements und Lyrics mit Gewicht in die Wiesen und Sandflächen der Events.
1 Kommentar
Einzige hörbare Reggaeband.