laut.de-Kritik
Der Charles Bukowski-Soundtrack.
Review von Giuliano Benassi1987 schien es um Hardrock/Heavy Metal nicht allzu gut bestellt. Im Underground überboten sich zwar zahllose Bands in Sachen härter, fieser und schlechter. Auf den großen Bühnen waren jedoch Keyboards und Spandex mit Dauerwellen und Lippenstift angesagt.
Wer MTV schaute, und das tat damals so gut wie jeder, freute sich, wenn zwischen Modern Talking und Samantha Fox endlich mal wieder eine E-Gitarre auftauchte. Die Texte? Belanglos. Der Look? Grauenhaft. Die alternden Haudegen von Aerosmith brachten es auf den Punkt, als sie einen Song mit dem Titel "Dude (Looks Like A Lady)" veröffentlichten. Genderdebatten waren damals noch eine konspirative Angelegenheit an linksorientierten Universitäten. Das grelle Erscheinungsbild war nur billige Effekthascherei.
Dann kamen Guns N' Roses. Oder besser, die Kunde einer Band, die ihre böse Miene tatsächlich so meinte und dazu noch das machte, was eine Band tun sollte - nämlich sein Handwerk beherrschen. Der Gitarrist schien mit schwarzer Lockenmähne und Zylinder einem Comic entsprungen. Dem Sänger mache es Spaß, Hunde zu erschießen, hieß es. Er war zierlich wie eine Frau, schaute jedoch grimmig drein wie Massenmörder Charles Manson.
Dann kam es, das Album. Das ursprüngliche Cover stellte eine Straßenverkäuferin dar, die von einem Roboter vergewaltigt worden war, der wiederum von einem fliegenden, fies aussehenden Etwas angegriffen wurde, das im Wesentlichen aus Messern bestand. In den 1980ern war es im Bereich Hard'n'Heavy durchaus üblich, grenzwertige Covers zu kreieren - siehe Iron Maiden und Ozzy Osbourne - doch das ging dann doch einen Schritt zu weit. Fand zumindest das Label, das sich nach der ersten Auflage für eine Neugstaltung in Form eines Kreuzes und fünf Totenköpfe, angelehnt an die Bandmitglieder, entschied.
Das Explosive war jedoch nicht das Cover, sondern der Inhalt. Hier ging es nicht um fröhliche Parties, die bis in die Morgenstunden dauerten, leichtbekleidete Traumfrauen, die einem das Herz brechen oder wie geil und hart man doch ist (trotz Dauerwelle und Lippenstift). "If you want some honey, money, we got your disease", hieß es im Opener mit dem passenden Titel "Welcome To The Jungle". Noch besser: "Your daddy works in porno, now that mummy's not around / She used to love her heroin / But now she's underground" ("Rocket Queen"). Hier war Los Angeles keine Märchenwelt, sondern ein hartes Pflaster, das in seiner Rücksichtslosigkeit auch Augenblicke der Freude und Zärtlichkeit bot. Der perfekte Soundtrack zu Charles Bukowskis Geschichten (auch wenn der Autor vermutlich nicht einverstanden wäre, denn er bevorzugte klassische Musik).
Die Dichte an guten Songs bleibt auch 31 Jahre später beeindruckend, da ist es nicht weiterhin verwunderlich, dass sich "Appetite" 30 Millionen mal verkauft hat. Gute gebrauchte Exemplare kriegt man für wenige Euro - lohnt es sich also, ein Vielfaches für eine der Remastered-Versionen auszugeben?
Von der absurden "Locked N' Loaded"-Ausgabe abgesehen, die nur über die Bandwebseite zu beziehen ist und soviel kostet wie ein Premium-Kühlschrank samt Bierfüllung, kommt eigentlich nur die vorliegende Version in Frage, die mit gut 150 EUR auch ordentlich zu Buche schlägt. Dafür gibt es neben Facsimile-Tickets, Fotos aus der Gruft von Sänger Axl Rose und weiterem nett anzusehenden Schnickschnack vor allem eine umfangreiche Sammlung an Demos.
Zuerst hört man sich durch die aufpolierte Version des Originalalbums, das damals schon verdammt gut klang. Und die EP "Lies", die 1988 aus dem G'n'R-Urdemo "Live Like A Suicide" und vier Akustiktracks bestand, wobei das umstrittene "One In A Million" nicht dabei ist, (kein Wunder: "Immigrants and faggots / They make no sense to me / They come to our country / And think they do as their please"). Dann wird es interessant: CD 3 und 4 beinhalten nicht nur Demos der Stücke, die auf "Appetite" landeten und den bekannten Versionen recht nahe kommen, wenn auch der Feinschliff noch fehlt - Axl und vor allem Slash huldigen ihren Vorbildern: Rolling Stones ("Jumpin' Jack Flash", einmal thrashig, einmal akustisch), Elvis Presley ("Heartbreak Hotel") oder AC/DC (eine Liveversion von "Whole Lotta Rosie" aus London von 1987). Roses Bemerkung "I ain't no Bon Scott" klingt lustig angesichts des Umstandes, dass er später sein Nach-Nachfolger wurde.
Die Erkenntnis: Die Band hatte so viele gute Stücke auf Lager, dass sie einige aussortierten musste. "Shadow Of Your Love" ist hier ganze drei Mal zu hören, aber auf keinem ihrer offiziellen Alben. Bob Dylans "Knocking On Heaven's Door" klang 1987 schon genau so wie auf "Use Your Illusion" 1991. Auch hatten sie zu Beginn der Karriere im Studio durchaus Spaß, wie eine besoffene Version von "Move To The City" beweist.
Wirklich erstaunlich ist jedoch, dass "November Rain" wieder in der Schublade verschwand. Die zweite hier dargebotene Version mit Akustikgitarre ist nicht weiter bemerkenswert, die erste kommt der 1991 veröffentlichten Version aber schon sehr nahe. Auch wenn die Killer-Einlagen Slashs fehlen, klingt Rose am Klavier hier einmal nicht wie ein Berserker, sondern wie ein verletzlicher Mensch, der nach einem neuen Weg sucht. Wer diese Version hören will, muss einen Kumpel überzeugen, sich diese Box zuzulegen, oder selbst kaufen, denn auf der 2 CD-Version (Album plus einige Demos) ist sie nicht enthalten.
Eine Schnulze, äh, Ballade war offenbar mehr als genug. Dafür enthielt "Appetite" "Sweet Child O' Mine". Keines jener rotztriefenden Stücke à la Def Leppard oder Whitesnake (oder gar Scorpions), die die oberen Etagen erklommen, im Vergleich zum restlichen Material wirkte es aber doch recht zahm. Sie bleibt die einzige Single von Guns N'Roses, die die Spitze der US-Single-Charts erreichte.
Schön, dass drei Fünftel der Originalbesetzung 2016 wieder zusammengefunden und eine ordentliche Show auf die Beine gestellt haben. Wer sie seitdem gesehen hat, wird an dieser schicken Ausgabe seine Freude haben. Und angesichts der gesalzenen Ticketpreise beim Zücken der Kreditkarte das Gesicht nur leicht verziehen.
8 Kommentare mit 11 Antworten
als ich das teil letzten donnerstag bekommen hatte, hab ich mich den ganzen Feierabend damit beschäftigt...
und wie soll ich sagen...
besser als SEX!!!
danke an axl fürs öffnen des archives...
hoffe auf mehr in bezug auf UYI I&II...
Geile Box! Ich dachte auch sofort an UYI Augen zu und Karte durch...
@ataxia78 ich glaup du hattest noch nie sex oder?
@mirja
wenn du über 20-ig jahre auf solch ein teil wartest, tja dann muss ich gestehen, wars definitiv besser als wirklich wirklich wirklich guter sex!!!
fals du mir das nicht glaubst, gib mal die 150.-- mucken aus und überzeug dich selbst!
ich hatte beim durchhören sogar tränen in den augen...
@beltane63
hatte mal online mitschnitte gefunden, bei denen slash seine spur schon eingespielt hat, axl aber noch nicht mit dem piano über die tracks gerast ist...
leider waren das nur 3-4 tracks...
daher hoffe ich hier dann auch mal auf gaaaanz viel mehr Output!
Musik > Sex
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Die im Text zitierten Liedzeilen "Your daddy works in porno...etc." stammt nicht aus "Rocket Queen", sondern aus "My Michelle".
Ähm... stammen, nicht stammt
Ein, zwei Gedanken. Finde das angesichts der ersten drei Alben, das nun hervorgekramte Material schon etwas dünn. Irgendwie fehlt mir die Liebe zur Musik und der Preis der Scheiben ist arg hoch. Mir ist schon klar dass das heute halt so ist. Trotzdem, fehlende Liebe und Abzocke ergeben einfach ein unrundes Bild und haben mit dem wofür die Gunners mal standen, mal garnix zutun. 35 Euro Eintritt in ein gutes Konzert lass ich mir noch gefallen, auch sind das alles unsterbliche Songs, es wird nur Zeit das die drei übrigen Herren ihre Köpfe rauchen lassen und 2018/19 mal etwas anderes bieten ausser Konserven.
gnr haben mich immer nur halb überzewugt. die blaue "use your illusions" halte ich für den zenith. "don't cry" für ihr bestes lied und das pathetische gniedelmonster "november rain" für ein überbewertetes emotionsimitat, dassentimentalität als gefühl verkauft.
"appetite" konnte ich leider auch schon damals wenig abgewinnen. alles netter partyrock mit gut gestyltem badass-image. keine frage. aber songwriterisch haben die gunners ihre nasen sicher nicht vor anderen genreacts derselben ära. ich erinnere mich noch gut, wie die journaille das album zu recht weitgehend als durchschnitt einstufte (etwa im metalhammer). der wind drehte sich erst kurz darauf mit dem hype. aber wahrer wurden die lobeshymnen dadurch nicht.
insofern greife ich mir hier mal die oppositionskarte.
Eines muss man den Gunners aber zugestehen, alle Widrigkeiten des Jobs und Rockstar ist kein einfacher Job, haben sie besser überstanden als einige Bands aus ihrer Zeit. Das sie nicht ganz erste Liga waren, so immer auf Periskoptiefe halt, das macht das um so größer, was sie heute noch bringen. Damit das sie wieder touren, haben sie den Aufstieg in die erste Liga geschafft. Dort in Erinnerung wie z.b. AC/DC zu bleiben, gehört aber noch ein Stück dazu, ein neues Album zum Beispiel.
https://ancientcave.blogspot.com/2018/07/g…
Kucken und lesen, komentieren ausdrücklich erwünscht!
Hätte es mir angeguckt aber ankucken möchte ich das nicht
Der Vogel heißt doch Kuckuck und nicht Gughugh. Deshalb weil kucken übersetzt werden kann mit anschauen. Da der Kuckuck seine Eier in fremde Nester packt, um sie ausbrüten zu lassen. Die falschen Vogeleltern hätten sich ihre Eier besser anschauen sollen. Deshalb kucken richtig.
Also in meiner Erinnerung waren sie mit den beiden Illusions-Alben damals absolut an der Spitze. Und das mit einem Hardrock-Album in einer Zeit, die vom Grunge komplett beherrscht wurde.
Die Reunion sehe ich eher skeptisch: Mit einer Tour kann man sicher nix falsch machen - mit einem neuen Album schon. Wäre schade um den Mythos, wenn sie es verkacken.
"Partyrock?" In den Songs gings um alles mögliche, nur nicht Party (steht ja in der Rezi). Musikalisch kommt es "Rocks" von Aerosmith ziemlich nahe.
Alles, was danach kam, darf gerne angezweifelt werden, aber das erste GnR-Album ist immer noch eines der straffsten Hardrockreleases aller Zeiten und ein grandioses Gitarrenalbum. Muss man eigentlich gar nichts mehr dazu sagen...die neue Version hätts gar nicht gebraucht, das Originalalbum klang auch schon hervorragend.