laut.de-Kritik

Buzzword-Bingo aus dem Banlieue-Brockhaus.

Review von

Das Wichtigste einmal direkt vorweg: Haaland936 ist ein begnadeter Rapper. Nachdem er 2024 die erste Staffel des "Rap La Rue"-Contests für sich entscheiden konnte, folgt mit "Tiki Taka" nun ein gutes Jahr später sein Debüt-Album und lässt keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass er musikalisch mit den ganz Großen in seiner Sparte mithalten kann.

Der neueste Sound aus Paris und Marseille scheint ihm dabei ebenso vertraut zu sein wie der Tickersprech aus den Metropolen Europas. Der Großteil der Tracks ist folgerichtig ein einziges Buzzword-Bingo aus dem Banlieue-Brockhaus, das Haaland mal unermüdlich über den Beat feuert und mal melancholisch dahin säuselt. Eines ist dabei schnell klar: So klingt jemand, der schon im Grundschulalter KMN, Haftbefehl und Raf Camora ebenso eingehend wie PNL, Booba und JuL studieren konnte.

Dass letzterer sogar für ein Feature vorbeikommt und sich nahtlos ins Album einfügt, spricht bereits Bände und belegt Haalands musikalisches Talent. Dass der Frankfurter obendrein aber noch einen iPhone-Klingelton samplet ("Désiré Doué") und sich für die "Chicks & Qzengs"-Hook kurzerhand die Melodie des Mr.Probz-Hits "Waves" ausleiht, ohne dabei stilistisch auch nur für eine Sekunde aus der Balance zu geraten, beweist darüber hinaus noch eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. Hier weiß jemand ganz genau, was er tut.

Doch jede Block-Party hat irgendwann mal ein Ende, und so findet sich auch Haaland936 im "Spätsommer" weit nach Mitternacht auf irgendeinem Hochhausdach wieder, um mit Blick in den Himmel über den Sinn des Lebens zu philosophieren. Auch die obligatorischen deepen Tracks werden besonders in der zweiten Albumhälfte natürlich noch durchdekliniert. Da wird über die einstige Kindheit sinniert ("Au Revoir"), der eigenen "Mama" - die es natürlich nicht immer leicht mit ihm hatte - ein Song gewidmet, über falsche Freunde philosophiert ("Verräter"), und selbstverständlich darf auch das eine oder andere Liebeslied ("Jolie", "Mandala") nicht fehlen.

Von Song zu Song tritt dabei immer stärker jenes Problem in den Vordergrund, das schon bei den Representern und Battletracks immer latent mitschwang: Es fehlt leider an Persönlichkeit. Nicht, dass Haaland936 diese als Privatperson nicht sicherlich im Übermaß zu bieten hätte. Allein: Sie findet sich partout nicht in seinen Songs wieder. Ganz offensichtlich steht ihm sein schon in jungen Jahren nahezu perfektionierter Stil dabei im Weg, sich als Person durch seine Musik auszudrücken.

Denn natürlich: Das akkurate Aneinanderreihen von Schlagwörtern entfaltet in seiner Gesamtheit zunächst die gewünschten Hoodlife-Vibes. Im Detail wirkt das alles leider doch recht beliebig. Chevrolet oder Audi, Olympique oder PSG? Es scheint komplett egal zu sein. Alles, was irgendwie cool wirken könnte, ist auf dem Textblock willkommen.

Dass dieses Brainstorming in Summe zu einer Art "Sonnenbank Flavour" auf Albumlänge mutiert, erschwert den Aufbau eines packenden Künstler-Narrativs leider merklich. Trotz der Thementracks weiß man am Ende nie so recht, ob Haaland hier gerade wirklich seine eigene Geschichte erzählt und nicht doch wieder nur wild in den Baukastensatz für Hoodsongs mit Tiefgang greift. Parallel dazu punkten ausgerechnet diese Songs auch musikalisch nicht so recht: Wo der Text im Fokus stehen soll, wird die Hitlastigkeit merkbar reduziert. Blöd nur, wenn der Text nicht die gewünschte Wirkung erzielt.

Was am Ende bleibt, ist die Erkenntnis, dass musikalisches Talent allein leider noch kein gutes Album ausmacht. Wie eingangs schon gesagt: Haaland936 ist ein wirklich herausragend guter Rapper. Eine herausragende Persönlichkeit ist er - glaubt man seinem Debüt - leider noch nicht.

Trackliste

  1. 1. Shaghaf Oud
  2. 2. Coração (feat. Amo)
  3. 3. Rampampam
  4. 4. Padapapa (feat. Safraoui & HoodBlaq)
  5. 5. Chicks & Qzengs
  6. 6. Alo Alo (feat. JuL)
  7. 7. Désiré Doué
  8. 8. Jolie (feat. Merveille)
  9. 9. Dubai auf Yacht Freestyle
  10. 10. Au Revoir
  11. 11. Mandala (feat. Chanelle)
  12. 12. Verräter (feat. Kauta)
  13. 13. Estrella (feat. Elai)
  14. 14. Spätsommer
  15. 15. Rotation (feat. Nabyl)
  16. 16. Tiki Taka (feat. Aymen & Amo)
  17. 17. MSN (feat. Ego & Sadiq)
  18. 18. Mama

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