laut.de-Kritik

Auf den Spuren von Alanis Morissette und Phil Collins.

Review von

"Don't believe the hype." Oder doch? Im Falle der drei Haim-Schwestern fällt die Entscheidung nicht so leicht. Nach ihrem gefeierten Debüt "Days Are Gone" ließen sich die Damen vier Jahre Zeit. Natürlich waren sie in der Zwischenzeit nicht untätig. 2015 lief ihr Calvin Harris-Feature "Pray To God" auf heavy rotation und alle Radio-DJs leckten sich die Finger nach dem eingängigen Pop der Kalifornierinnen.

"Something To Tell You" knüpft nahtlos an den Vorgänger an. Ohne Ecken und Kanten präsentieren sich die elf Songs. Wenn man sich nach ein paar Nummern vom Synthie-Indie-Pop, der aus jeder Pore den California-Lifestyle schwitzt, hat einlullen lassen, wippen Bein und Kopf unweigerlich mit. Körperkontrolle ade, hoffentlich sieht einen niemand.

Die Einflüsse aus der elterlichen Plattenkiste bleiben auch bei der zweiten Platte unüberhörbar. 80s-Synthie-Melodien treffen auf astreinen Girliepop, eine Prise Soul, gospelartige Refrains und ganz viel Pop fügen sich an die Melodien, die einen großen Teil des Erfolgsrezepts ausmachen.

Die drei beweisen ein ums andere Mal, dass sie einfach wissen, wie man gute Poplieder schreibt. Auch wenn manch ein Song gerne hätte kürzer ausfallen dürfen. Durchschnittlich kratzen die Titel an der Vier-Minuten-Marke, und dafür ist bei den meisten einfach zu wenig los. Das Schema Reduzierter Vers - mehrstimmige Bridge - voller Refrain zieht sich durch beinahe jede Nummer.

"Little Of Your Love" tanzt stilistisch etwas aus der Reihe. Das Piano versprüht einen Retro-Touch und verleiht dem Song etwas Souliges. Im zweiten Part schleicht sich dann ganz frech eine Country-Gitarre ein, die erstaunlich gut harmoniert. Am Ende bekommt sie sogar ein kleines Solo, das nicht das einzige auf dem Longplayer bleibt. Allein damit beweisen Haim, dass sie eben doch mehr sind als irgendeine gecastete Girlgroup - nämlich eine organisch gewachsene Band, deren Mitglieder ihre Instrumente beherrschen.

Ähnlich groovig und catchy klingt "Kept Me Crying". Wieder machen die mehrstimmigen Gesangparts den Song rund, auch wenn vielleicht ein neues Element hier nicht schaden würde. Aber hey! Never change a winning team.


Phil Collins
scheint großen Einfluss auf das Trio zu haben. Anders sind die "In The Air Tonight"-Gedächtnis-Drums bei "Something To Tell You" nicht zu erklären. Auf Songlänge nerven die opulenten Drumsounds dann leider auch etwas.

Zu "Nothing's Wrong" wird sicher beim nächsten Mädelsabend die ein oder andere Prosecco-Flasche geköpft. Die Nummer geht gut nach vorne, Vorglüh-Pop, der zu Urlaubsträumen einlädt. Scheinbar empfinden Haim nicht nur ihre Frisuren Alanis Morissette nach, auch soundtechnisch haben sie sich an ihr orientiert.

Das Gefühl von Weite und Sehnsucht weckt bei der Singleauskopplung "Want You Back" das Piano, das häufigeren Einsatz findet, auch wieder beim Schlusspunkt "Night So Long". Die Ballade im elektronischen Gewand hat alles, um dem zweiten Longplayer ein würdiges Ende zu setzen: Tragik und traurige Schönheit.

Die ganz großen Überraschungen bleiben auf "Something To Tell You" aus, die hat man aber vermutlich auch nicht erwartet. Haim knüpfen an ihren Vorgänger an: guter Pop, der wirklich niemand weh tut und runtergeht wie ein Schluck extra vergine. Stört niemanden, kommt trotzdem gut an. "Want You Back" als erste Single mit entsprechendem Klickzahl-Echo gibt den Schwestern Recht. Aber waren dafür wirklich vier Jahre nötig?

Trackliste

  1. 1. Want You Back
  2. 2. Nothing's Wrong
  3. 3. Little Of Your Love
  4. 4. Ready For You
  5. 5. Something To Tell You
  6. 6. You Never Knew
  7. 7. Kept Me Crying
  8. 8. Found It In Silence
  9. 9. Walking Away
  10. 10. Right Now
  11. 11. Night So Long

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