laut.de-Kritik
Keine Wissenschaft, nur Heavy Metal!
Review von Yan VogelMänner in Ritterrüstung haben dieser Tage in den Fastnachtshochburgen eigentlich keinen Seltenheitswert. Passend zum Höhepunkt der fünften Jahreszeit wuchten Hammerfall ihr zwölftes Album "Hammer Of Dawn" in die aussterbenden Plattenläden und florierenden Streaming-Dienste.
Der Lockdown verlangt Musikern einiges ab. Traditionalisten wie Hammerfall war jedoch nicht nach Streaming-Events. Vielmehr legten die Schweden eine Live-Scheibe auf ("Live! Against the World") und begannen direkt mit den Arbeiten am Nachfolger von "Dominion".
Die Akkorde tönen streckenweise düsterer, die Chöre wiegen schwerer, wie "Reveries" beweist, ein Midtempo-Stampfer, dessen Singalong den schmalen Grat zwischen Kitsch und Kunst beschreitet. Cool auch, wie der Melodie-getränkte Prechorus mit seinen raumgreifenden Akkorden im Opener "Brotherhood" plötzlich im Refrain in einen düsteren Riff-Part kippt.
Auch wenn die Pandemie ihre düsteren Spuren hinterlassen hat, erklingt hier Heavy Metal nach schwedischem Reinheitsgebot und keine Wissenschaft. "No Mercy" klingt vom Titel her nach Thrash, Tod und Teufel, im Falle von Hammerfall nach Kater Carlo auf Futter-Entzug. Joachim Cans ist ein guter Sänger und bestimmt auch ein tougher Typ, der kraftvoll Holz hacken kann. In Sachen Stimmlage sollte er bei der lieblichen Dur-getränkten Ausrichtung bleiben.
Der Fan bekommt, was er verdient: Metal im Stile von Judas Priest und Accept mit Anleihen an die Twin Guitar-Exzesse von Iron Maiden und dem Speed von Helloween. Die Referenzen lesen sich nicht schlecht. Ob die Vergleiche jetzt als Kritik oder als Kompliment zu verstehen sind, möge jeder für sich entscheiden. Die Stiefel des Schweden-Fünfer sind dermaßen Blei-beschwert, dass es allenfalls marginale AC/DC-artige Änderungen zum Erstling und Neunziger-Meilenstein "Glory To The Brave" gibt, sprich die Songs sind anders betitelt, wohingegen die Texte einem Englisch-Aufsatz der Manowar-Gesamtschule entstammen könnten.
Wobei die Männer um Chef-Blondine Oscar Dronjak durchaus mit Humor gesegnet sind: Die Herren sind alle um die Fünfzig, was den Titel "Too Old To Die Young" erklärt. Inwiefern Metal mit Mythen verbunden ist, zeigt "No Song Of Odin". Dieser Track zeugt davon, dass das Hammer schwingende Band-Maskottchen Hector heißt und nicht Odin.
Die obligatorischen Hardrock-Nummern und Balladen-Klänge sind meines Erachtens Ausschussware. Die Dreiklänge im schmusig-schmalzigen "Not Today" ringen auch dem Fernsehgarten-affinen Publikum ein Lächeln im Furchen-durchzogenen Gesicht ab, locken ansonsten keinen hinter Andrea's Berg hervor.
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