laut.de-Kritik
Die Hobby-Ritter feiern 23 Jahre Heavy Fucking Metal.
Review von Yan VogelEs gibt Dinge, die braucht der Mensch nur bedingt. Dazu gehören Corona und Live-CDs, wobei letztere für Leib und Leben ungefährlicher sind. Immerhin verhalten sich beide Aspekte proportional zueinander. Steigen die Fallzahlen, erhöht sich der Absatz der Konzert-Nachlesen. Der Verbot von Massenveranstaltung bedingt das Hinterherträumen auf Konserve. Zusammen ist man weniger ein Schwein? Während das Heilmittel gegen das Virus AHA-Regeln und Bill Gates heißt, muss im Falle der Begutachtung des Tonträgers der Kritiker herhalten.
Aber genug der Vorrede. Los gehts: Stream an, Genussmittel über die Blut-Hirn-Schranke jagen, Pappschwert in die Hand, Ritterrüstung angeschnallt, nur aufpassen, dass der Helm nicht zum Aluhut wird. Dann den Killerrefrain von "Hearts On Fire" intonieren. Die 666 Euro-Frage bei Wer wird Metallionär lautet: Was reimt sich IMMER auf Fire? Richtig: DESIRE!
"23 years of Heavy fucking Metal from Sweden" screamt Sänger Joachim Cans ins weite Rund der MHP-Arena in Ludwixburg, die neue Destination für ungepflegte Metal-Unterhaltung nach dem Ende der altehrwürdigen Rockfabrik. Hammerfall wehren sich erfolgreich dagegen, erwachsen zu sein und ziehen ihr Denim and leather-Konzept gnadenlos durch, so dass selbst erklärte Ganzjahres-Karnevalisten vor Neid erblassen.
Neben der bewährten Metal-Formel "Riff + Raising Fist = Haare schütteln" gibt es auf "Live! Against The World" zarte Experimente. "Redemption" zieht alle Register an den Synths, beginnt mit einer Kirchenorgel im Stile von Powerwolf und geht über in technoide Sounds, die auch der Göteborg-Plug In der Marke In Flames entstammen könnte. Battle Beast-Fronterin Noora Louhimo ist derzeit eine gern gesehene Kollaboratorin. Nach Grave Digger tritt sie auch für Hammerfall ans Mikro und verleiht der Ballade "Second To One" ein wenig Glanz
Die Frage, ob die Schweden nur ein schwacher Abglanz der alten Meister um Maiden und Manowar sind, beantwortet der Songtitel "Hallowed By My Name" treffend. Die nahe Anlehnung an die Größen verspricht die Aufmerksamkeit ihrer Follower, und man kann sich gut das Attribut zu eigen machen, den trven Stahl weiter zu schmieden. Im Umkehrschluss blüht jedoch die musikalische Bedeutungslosigkeit aufgrund des ewigen Aufwasches.
Die Tracklist lässt keine Wünsche offen und liest sich wie ein Galopp hoch zu Ross The Boss durch die Wortfelder, in denen die Klischees nur so sprießen. "Let The Hammer Fall" oder "Hammer High" zeigen dem letzten Dude, wo der Hammer hängt. Produktion und spielerisches Vermögen sind top, auch die sensible Stimme von Cans klingt sattelfest und weit entfernt von der Standfeste eines Konzertbesuchers nach dem fünften Gang zum Bierstand. Judas, Prost!
Noch keine Kommentare