laut.de-Kritik

Das Meer, die Erinnerung und die Suche nach sich selbst.

Review von

Was macht man mit einem enormen Talent zum Singen, wenn man gerade keine Songs hat? Covern war im Sommer 2022 eine nicht ganz so treffsichere Idee von Heather Nova. Das Resultat entpuppte sich als mittelmäßig, kommerziell aber ähnlich erfolgreich wie ihre eigenen Songs von "Pearl". Eine Auszeit auf einem Segelschiff vor den griechischen Küsten versprach, neu aufzutanken, und das unter dem schützenden Mantel des antiken Meeresgotts Poseidon, den Heather hier anmutig anruft: "Hey Poseidon".

Eine Exkursion zum Durchatmen, für "Breath And Air". Neben der Luft dreht sich der Anfang des Albums ums Wasser, "Ebbs And Flows". Über den Trip durch die Wellen des Ionischen Meers gelangt der große Fisch aufs Cover. Bezug zum Wasser gab es früher schon, siehe "Aquamarine" auf "South", und der 57-Jährigen aus Bermuda fiel ein, wie es sich als Kind für sie anfühlte, auf einem Boot aufzuwachsen. Zwei Erkenntnisse zog sie daraus: Einmal, dass man immer genau so jung sei, wie man es im Kopf ist. Wer an frühere Phasen seines Lebens anknüpfe, verjünge sich im Nu, versetze sich in die damalige Persönlichkeit der Zeit von einst zurück. Zum Zweiten komme es auf die simplen Dinge im Leben an.

Das Wertschätzen kleiner Momente wünscht sich Nova und landet in einem extrem ausgeruhten, geradezu schläfrig machenden Album voller Reflexionen. Mit den Rock-angereicherten Alben der 90er Jahre wie "Oyster", "Siren" oder "Wonderlust" hat das aktuelle nur noch eines gemein: Die Stimme. Wobei sie bei ihr mit dem Alter paradoxer Weise immer höher klingt. Jedenfalls, ob sirenenhaft oder rockig - es gibt bis heute keine andere Interpretin, bei der ernsthafte Verwechslungsgefahr mit der wandlungsfähigen und gelenkig modulierenden Songstress bestünde.

Eine Entwicklung der letzten Alben: Sie dampften den Sound auf vornehme Zurückhaltung ein. Dieses Mal lässt sich vokale Kammermusik dazu sagen, stellenweise gerät sie üppig. Heather hat die Platte in erster Linie mit sich selbst und einem Kollegen für Technik und Produktion sowie dessen Bruder aufgenommen. Die Geschwister Andrew und Chris Bond werkeln sonst im Umfeld Ben Howards. Gelegentlich stieß eine Cellistin hinzu, die sich klanglich prägnant durchs Album zieht und Klassik-Eleganz beimengt.

Insgesamt hört man ziemlich viel an einigen Stellen, Klavier, Synths, Streicher, Percussion, auch wenn hier immer wieder Tonspuren derselben wenigen Multi-Instrumentalisten übereinander liegen. Live wird Nova wohl auf ihrer Tour ganz andere Möglichkeiten nutzen. Das Album hingegen entstand in der Abgeschiedenheit. Das vermittelt sich deutlich: Es ist introspektiv, vertonte Psychologie, versunken, auch ein bisschen hermetisch abgeriegelt, beim ersten Hören sogar anstrengend. Doch man darf die Hörer:innen ja gerne mal fordern.

Der Versuchung eines Unplugged-, Stripped- oder Acoustic-Albums erliegt die Poetin derweil nicht. "Songschreiben ist eine Suche (...) nach Klarheit über uns selbst", urteilt Nova. So lange ihr Selbstfindungs-Kurs ans Ziel führt, sind die jeweiligen Arrangements sekundär, mit dem Haken, dass sie sich teils in Barock-Pop verlieren, ohne mitsummbare Momente zum Vorschein zu bringen. Das Gewicht ruht weitaus mehr auf den Texten, Vocals und Stimmungen.

Ganz reduzierte, intime Momente gibt es schon auch. "Beginner" geht ein Klassiker-Thema Novas so routiniert wie treffsicher an: Intimität, wann man sie zulässt, und inwieweit sich Vertrauen und physische Berührung ineinander spiegeln. "I feel like a beginner / your skin against my skin." - Interessant an Heathers Aussage in dem Song ist, dass sie hervorhebt, wir müssten uns erst selbst übern Weg trauen, bevor wir einem anderen Menschen vertrauten. Den "schönen, mutigen Schritt, sich zu entscheiden, verwundbar zu sein", so drückt sich die Songwriterin aus, wenn man die Botschaft des Liedes übersetzt: "Nur wenn wir verletzlich sind, können wir uns der wahren Tiefe von Liebe öffnen."

Die 57-Jährige nimmt sich gerne Zeit und Muße, solche grundsätzlichen Gedanken durchzuspielen. Romantik kommt da bei aller Analyse nicht zu kurz. "Hold my hand / I wanna walk this life" trällert sie mit Wucht und Inbrunst zu dunklem Cello, ruhiger Akustikgitarre, weichem E-Piano und hellen Sphären-Klängen.

"The Lights Of Sicily" greift das Motiv des Reisens über den Seeweg auf und ist somit quasi dritter Bestandteil einer Trilogie rund ums Meer (zusammen mit den ersten beiden LP-Tracks). Der Segel-Trip setzt sich von Griechenland an die Sohle des italienischen Stiefels fort und steigert das Tempo der feinfühligen, zarten Song-Kollektion. Diese Nummer bezaubert und qualifiziert sich mit ihrem hymnischen Chorus und starken Bildern wie "our lips were dry / and the kiss was missing something" als neues Juwel für die Ewigkeit in Heathers Live-Shows.

Laut der Künstlerin handelt dieses Stück Chamber-Pop vom Unterwegs- und Alleine-Sein, andererseits vom Rucksack an Problemen, mit dem wir verreisen und stets unsere Vergangenheit und biographische Lasten mit schleifen. Irgendwohin aufzubrechen macht einen zunächst mal nicht zu einem neuen Menschen. So können neue Personen, die man unterwegs kennen lernt, eine eskapistische Ablenkung sein, aber, so singt Nova, auch verschütt liegenden Selbstbetrug aufdecken. Zumal wenn wir Leute treffen, die aus einem anderen kulturellen Kontext stammen.

Bei "The Lights Of Sicily" dominiert nach dem Kiss-Motto 'keeping it simple and straight' die Akustikgitarre. Solche Preziosen machen die Platte in jedem Fall wertvoll - gleichwohl etliche Tracks durchrauschen, einander arg ähneln und das Album insgesamt verwässern. Eine ordentliche Portion neues Tour-Futter wie das begeisternde "From Up Here" ist aber auf jeden Fall dabei.

Trackliste

  1. 1. Hey Poseidon
  2. 2. Ebbs And Flows
  3. 3. November Skies
  4. 4. Breath And Air
  5. 5. From Up Here
  6. 6. Butterflies And Moths
  7. 7. A Human Experience
  8. 8. Ghost In My Room
  9. 9. Beginner
  10. 10. The Lights Of Sicily
  11. 11. I Blame It On Myself
  12. 12. Magnificent
  13. 13. Farewell

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