laut.de-Kritik
In der Grundschuldisco.
Review von Philipp KauseBei Helene Fischer und ihrem Background-Kinderchor Blankenäschen galoppieren, schwirren und tanzen Tiere durch jedes zweite Lied. Das neue Album wendet sich an die Zielgruppe von vier bis sieben Jahren: musikalische Frühsozialisation. So bevölkern eine Ente, Hai, Hase, Igel und Kamel, ein rhythmisch fittes, aber wählerisches Katzenpärchen, ein Schwein und eine Wildsau den zweiten Teil der "Schönsten Kinderlieder".
Außerdem suchen Affen ihre Kokosnuss, und "Der Gorilla Mit Der Sonnenbrille" wundert sich über die kaum artgerechte Haltung, die ihm in Helenes Vor- und Grundschuldisco widerfährt. Ferner krabbeln Ameisen, machen sich Bären breit, darunter "Unser Kleiner Bär Im Zoo", "Ein Dicker Tanzbär" und der gemütliche Bär Balu. Bienen liefern Helene Gesangsstoff, Hühner machen das bis dato nicht bekannte Tiergeräusch "chick-chick". Mäuse, darunter eine nagende Astronautin, "Die Maus Auf Weltraumreise", bereichern die Artenvielfalt, und eine Mücke nervt "Das Rote Pferd", das im Videoclip braun ist.
Bis auf ein Video mit Otto Waalkes im Vorfeld zu "Baby Shark" hielt sich Helene mit Marketing-Maßnahmen zurück. Im Vergleich zum ersten Teil hat das Projekt ein bisschen an Statur gewonnen. Dem willkürlichen Ansatz folgen Stücke, die sich zuerst ums "Tanzen und Feiern" drehen.
Einzelne Nummern sind weniger abgegriffen, wie eben "Die Maus Auf Weltraumreise", und gleichzeitig mischen sich auch genügend Lieder in die Sammlung, die die (Ur-)Großelterngeneration noch kennen dürften. Mit 25 Tracks gestaltet sich die Auswahl diesmal diverser und bietet doch ein runderes Ganzes.
Hört man nun die Musik, denkt man manchmal: Haben Helene und ihre Mitstreiter Peter Koenemann und Alex Christensen den Artikel etwa gelesen? In einigen Aspekten wirkt es so. So findet sich der unterkühlte Charakter diesmal nicht. "Probier's Mal Mit Gemütlichkeit" ist dabei. Die Wahl fällt dieses Mal auf unkaputtbare Klassiker wie "Wer Will Fleißige Handwerker Seh'n", "Von Den Blauen Bergen Kommen Wir". Sogar - Helene singt auf Englisch - "Old MacDonald Had A Farm" ist dabei, und auch "Hey, Pippi Langstrumpf".
Die Blankenäschen, deren gesangliches Talent sich im ersten Teil als fragwürdig darstellte, hört man nun weniger. Im Wesentlichen treten sie als gelegentliche Chorus-Stimmen auf oder stopfen Lücken zwischen den Strophen. Mit Lead-Vocals treten sie nur selten in Erscheinung, etwa in "Wer Will Fleißige Handwerker Seh'n". Nur, allzu prickelnd klingt dieser Switch aus der Statisten- in die Hauptrolle auch nicht. Den Nachwuchs in den Hintergrund zu drängen, zeitigt ein neues Problem.
Nun gibt es viele musikalische Kids jenseits der Blankenäschen, die fleißig und diszipliniert üben. Von daher ist es schade, dass hier die Chance auf witzige Wechselgesänge weitgehend vertan wurde. Und so macht sich auch dank der immer gleichen, altbackenen synthetischen Klacker-Beats aus Alex Christensens Plug-In-Sammlung Langeweile breit.
Mit dem Konzept "Tanzen und Feiern" verknüpft der U96-Macher ganz offensichtlich stumpfeste Dance-Beats, solche, die bar jeder Überraschung bleiben und ohne viel Dramaturgie. Einzelne Saxophon-Takte wirken wie lächerlich kaschierende Sahnetupfer auf einem verbrannten Kuchen.
"Probier's Mal Mit Gemütlichkeit" verbleibt zwar im orchestralen Arrangement, büßt aber den Glanz von Dolby Surround-kompatibler Filmmusik ein. Den schönsten Kinderliedern wird ein Sparprogramm zuteil. Holzhammer-Beats, wie Fischer sie aus dem Schlager-Kontext kennt, lassen Kinderlieder nicht im besten Licht erscheinen.
Zugegeben, ein paar der Nummern wären sowieso verzichtbar. Im Stück "Die Jahresuhr" verpasst Texter Rolf Zuckowski dem Kalender den neuen Namen "Jahresuhr" und belässt es bei einer faden Aufzählung von Monatsnamen. Der künstlerische Anspruch wirkt bescheiden, obschon sich Helene in einer besänftigend honigsüßen Intonation übt, die man so gar nicht von ihr kennt. Insoweit betritt die Protagonistin durchaus Neuland.
Das nicht gerade geläufige Traditional "Hoki Poki" wäre ebenfalls nicht nötig gewesen, ein Zielgruppen-Fail zwischen Kneipen-Suff und Malle-Strandparty. Bis auf den rhythmisch treibenden Vibe bleibt von dem nichtssagenden Song wenig haften. Überhaupt wird auf dieser CD im braven, kollektiven Gehorsam eine Menge geklatscht und gestampft.
Musikalische Früherziehung sollte aber auch mal Raum fürs Nonkonforme und Kreative lassen. Hier sollen alle nicht nur dauernd mitmachen, sondern sich auch alle lieb haben, erläutert die Künstlerin. Bei aller Harmonie hinterlassen dann trotzdem mehrere Stücke hinsichtlich Diskriminierungs-Gesichtspunkten ein Fragezeichen, wenn schon Winnetou mehrmonatige Feuilleton-Debatten auslöst. So nennt "Alle Leut'" "dicke Leut', dünne Leut' ungeniert beim Namen, was bei tradierten Volksliedern nicht überraschen mag.
"Wer Will Fleißige Handwerker Seh'n" zählt in überkommener Form alle Berufe im generischen Maskulinum auf: Glaser, Maler, Tischler. Demgegenüber heißt es in "Zeigt Her Eure Füße" immer wieder: "Sehet den fleißigen Waschfrauen zu, sie wringen den ganzen Tag". Das so vermittelte Bild, dass Männer Holz sägen und Frauen "den ganzen Tag" Wäsche waschen, ist schon etwas unglücklich. Es wäre kein großer Akt gewesen, die 'Waschfrauen' in 'Waschleute' umzuwandeln. Dass dann Bügeln als anstrengende Tätigkeit beklagt wird, stammt immerhin nicht aus dem Original.
In Summe darf man beim Kauf eines Cover-Albums schon erwarten, dass sich die Verantwortlichen irgendetwas überlegt haben, um einen eigenen Pfiff hineinzubringen. Die zutage tretende fehlende Sensibilität für den Zeitgeist demonstriert, dass man sich diese Mühe gespart hat und lieber weiter möglichst Vieles von einem Mega-Erfolgsalbum nachäfft, das Karsten Glück, Simone Sommerland und die Kita-Frösche 2010 bereits vorgelegt haben.
Bei manchen Tracks legt sich Helene Fischer dennoch wirklich ins Zeug. Besonders "Die Affen Rasen Durch Den Wald" kommt originell und ausgesprochen fetzig: Hier ist inmitten der allgemeinen Dance-Schunkelei mal richtig Leben in der U96-Bude, dank orchestraler Wucht, Perkussion und mit Helene in mehreren Tonlagen: Sie verstellt gekonnt ihre Stimme und setzt die verschiedenen Mitglieder der Affenbande, den grollenden Affenonkel, die aufgeregte Affentante usw. lebendig und anschaulich um.
"Die Maus Auf Weltraumreise", die sich Batterie, Mikrofon und "Speck ins Gepäck" legt und in den "Raumanzug für ihren Flug" schlüpft, nimmt man Fischer ebenfalls ab. Autor dieses Lieds sowie auch von "Theo Theo (Veo Veo)" und "Der Gorilla Mit Der Sonnenbrille" ist übrigens Volker Rosin, der als Diplom-Sozialpädagoge vom Fach kommt und sich professionell seit fünf Jahrzehnten mit Kindermusik befasst. Er dockte etwa in den 80ern an die berühmte WDR-Maus an. Und bei allem Respekt vor Rosin: "Der Gorilla Mit Der Sonnenbrille" "braucht zum Tanzen keine Pille"? Man sieht sie schon vor sich, die Kinder, die fragen: "Hä, warum 'keine Pille'?!"
Drum prüfe gründlich, wer sich ewig an die Lieder anderer bindet. Helene Fischer verlässt sich beim Covern nicht nur auf anzweifelbares Material, sondern auch weitgehend auf eine rasch ausgelutschte Produktion. Das bisschen Polka-Vibe in "Probier's Mal Mit Gemütlichkeit" macht es auch nicht besser. Der dümmliche Anatomie-Song "Der Körperteil Blues" der Lichterkinder aus dem Jahr 2015 überzeugt mit plakativer E-Gitarre weder als Blues noch textlich: "Der Kopf sitzt auf dem Hals / daneben ist die Schulter (...) wir machen winke, winke." Der Song ist ein Boogie-Woogie. Insofern hätte man die Musikrichtung auch beim Namen nennen können.
Dass "Der Gorilla Mit Der Sonnenbrille" Mambo tanzt und "Samba, Rumba, Cha-Cha-Cha" mit "un, dos, très" und "olé" heftig den Latin-Vibe herauskitzelt, strahlt auf jeden Fall mehr Charme aus als die erzwungen wirkende Harmonika in "Old MacDonald Had A Farm". Die Deluxe-Doppel-CD bietet von allen Nummern die jeweiligen Karaoke-Version. Dass diese den Zweck erfülle, "fröhliche Familienmomente und unvergessliche Partyzeiten" zu unterstützen, wie es der Werbetext anpreist, sei unbestritten. Besonders gut oder pädagogisch wertvoll kommt an diesem Cover-Stadel allerdings wenig daher.
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