laut.de-Kritik
Herbie im Pre-Listening-Modus.
Review von Kai Butterweck"Tumult" ist das meistverkaufte Album des Jahres 2018. Es ist auch das Album, das am schnellsten mit Platin ausgezeichnet wurde. Nicht zu vergessen ist natürlich auch die Tatsache, dass das neue Studiowerk von Herbert Grönemeyer satte zehn Wochen lang ununterbrochen in den Top drei der deutschen Album-Charts rangierte. Wieder einmal sprechen die Fakten für sich: Wenn Herbert Grönemeyer zur Tat schreitet, lässt der Erfolg nicht lange auf sich warten.
Man mag gar nicht glauben, dass der scheinbar in regelmäßigen Abständen neu zusammengesetzte Bausatz aus Staub aufwirbelnder Gesellschaftskritik und musikalischer Massenkost auch mal wackelige Momente überstehen muss. Muss er aber. Selbst ein Herbert Grönemeyer muss vor der großen Ernte durch ein Tal der Ungewissheit schreiten.
Im Fall von "Tumult" präsentierte sich das besagte Tal im gemütlichen Radialsystem V am Berliner Spreeufer. Nur wenige Wochen vor der Veröffentlichung des Albums lud der Maestro Freunde, Bekannte, Fans und Neugierige zur intimen Live-Pre-Listening-Session ein.
Statt einer Rotationsrunde mit Kopfhörern stand ein Abend mit Band und Live-Musik auf dem Programm. In intimer Runde sollte angeschnuppert werden. Wie klingen die neuen Songs unter Live-Bedingungen? Wie erzeugt man Stadion-Atmosphäre auf Augenhöhe? Und wie bewegt man die alten Knochen im Beisein eines lässig daher kommenden Andac Berkan Akbiyik alias BRKN?
Letztgenannte Frage beantwortet der Hauptprotagonist bereits nach zehn Minuten. Der finale Akkord von "Du Bist Da" ist noch nicht ganz ausgeklungen, da vibriert Herbies Stimme bereits wie die eines jugendlichen Fanboys: "Ein Charmeur und wunderbarer Sänger: Bitte begrüßt BRKN!", schallt es durch den Saal. Wenige Sekunden später singen sich der alte Mann und der Newcomer aus Kreuzberg in einen wahren Doppelheimat-Rausch ("Doppelherz / İki Gönlüm").
Neben orientalischem Arena-Pop geht Herbert Grönemeyer auch mit ausgeklügelten Chorgesängen ("Fall der Fälle"), warmen Tango-Klängen ("Der Held") und opulenten Gesangsharmonien ("Morgen") auf Tuchfühlung.
Das ausgewählte Publikum quittiert jeden musikalischen Ausflug mit euphorischem Beifall, auch wenn noch nicht jede Note und jeder Einsatz sitzt. Das bisweilen noch etwas wackelige Sound- und Gesangsfundament lässt eine Wärme entstehen, die sich bei Künstlern dieser Größenordnung sonst nur bei Unplugged-Events entfaltet.
Ganz nah an der Basis lässt Herbert Grönemeyer alte Rock-Erinnerungen aufleben ("Alkohol"). Zwischendurch sorgen halbballadeske und nachdenkliche Augenblicke immer wieder für den Erhalt eines ausgewogenen Spannungsbogens.
Die Ansagen zwischen den einzelnen Lieder sind kurz und knackig. Nur selten übersteigt die Ankündigung eines Tracks die Dauer einer Minute. Wenn es allerdings um einen "brisanten Hintergrund" geht, wie im Fall des Anti-Rechts-Dramas "Fall der Fälle", bittet Herbert Grönemeyer auch vor dem Einsatz des ersten Instruments um die volle Aufmerksamkeit im Saal. Und die ist ihm Gewiss.
Die Augen- und Ohrenzeugen an diesem Abend sind begeistert – von der ersten bis zur letzten Minute. Und auch daheim vor den Boxen quittiert man das Gehörte mit Anerkennung. Fernab der gewohnten Produktionsperfektion präsentiert sich Herbert Grönemeyer im ungewohnten Start-up-Modus: aufgeregt, angespannt und mutig.
7 Kommentare mit einer Antwort
Die Rezension klingt nach mindestens 4 Sternen, die Wertung von 3 Sternen passt eigentlich gar nicht zum Text.
Sehr hörenswert!
Musik für Verwaltungsfachangestellte.
Wieder so ein Fluchtrentner
Nach Ö kam da nix mehr von Hr. Grönemeyer, was mich begeistert hätte.
das hier fand ich noch ganz naise:
https://www.dailymotion.com/video/x2fsg3f
ist glaub ich vom tumultflughafen konzert.
Herbies Höhepunkt des Schaffens war 'Bleibt alles Anders'. In 'Mensch' konnte man sich auch noch reinhören. Danach hat er mich verloren. Bin dann nur noch mit einzelnen Tracks warm geworden, aber auf Albumlänge ertrage ich seine zunehmend abstrakteren Wortgebilde und sein Genöhle nicht mehr.