laut.de-Kritik
Ein Gemischtwarenladen moderner Tanzmusik.
Review von Christoph DornerAndy Butler, kreativer Kopf hinter Hercules And Love Affair, stand mit "Blue Songs" vor einer echten Herkulesaufgabe. Hatte er nicht 2008 mit Disco ein längst totgesagtes Genre wiederbelebt, dabei einen in der Spitze schwul-hedonistischen Dance-Underground mit der gesetzteren Indie-Szene und dem Mainstream-Pop versöhnt und - ganz im vorbeigehen - Antony Hegarty mit der Mega-Single "Blind" endgültig in die erste Pop-Ikone des 21. Jahrhunderts verwandelt.
Wie wollte er das toppen? Doch nicht mit einem noch glamouröseren, noch wilderen Referenz-Zirkus. Tatsächlich gibt sich Butler mit einem deutlich kontrastreicheren "Blue Songs" redlich Mühe, sich als eigenständiger Autor des Albums zu profilieren. Zum Glück ist er dabei nicht der Versuchung erlegen, sich von mit Sicherheit schlangestehenden Promistimmen die eigene Identitätssuche versauen zu lassen.
Gut, statt Antony singt sich der nicht minder berühmte Kele Okereke mit viel Soul durch "Step Up", einem House-Popsong aus den Tiefen von Madonnas "Erotica"-Phase. Überhaupt liegt der Schwerpunkt des Albums dieses Mal eher auf den Spielarten von House, genauer dem analog-minimalistischen Detroit-Sound der späten 80er und frühen 90er Jahre.
So ist die Single "My House" durchaus programmatisch zu verstehen, auch das Musikvideo bezieht sich in Mode und Filmästhetik auf diese schrillen MTV-Jahre. Dabei sind es – mehr noch als auf dem so eklektischen Debüt – die starken Singstimmen im Frontcourt von Hercules And Love Affair, die bei Butlers funktionellen Tracks und der modernen Produktion des Wiener Techno-Produzenten Patrick Pulsinger die Kohlen aus dem Feuer holen.
So trägt Neuzugang Shaun Wright als Reinkarnation von Sylvester besagte deepe Single "My House" mit bewundernswerter Leichtigkeit. Im funkigen "Falling" macht er als "Disco-Queen" Bella Figura. Dass Butler doch noch nicht ganz von seinen Trademarks ablassen konnte, hat zuvor bereits der Opener "Painted Eyes" bewiesen, der als entschlackter Disco-Schleicher eine sinnliche Rückkopplung an das so famose Debüt darstellt.
Hier führt sich auch die Aerea Negrot, sonst eine Art Elektro-Emanze beim Berliner Label Bpitch, zu einem groovendem Bass und archetypsich flirrenden Streichern als kraftvolle, pronuncierte Sängerin ein. Keine Frage, sie kann mühelos mehrere Oktaven stemmen und gleichzeitig das technoide "Visitor" mit der nötigen maschinellen Strenge ausstaffieren.
Kim Ann Foxman wiederum bewahrt den politisierenden House-Klassiker "It's Alright" von Sterling Void mit ihrem unschuldigen Kehlchen seinen utopisch-esoterischen Charakter. Eigentlich längst aus der Zeit gefallen, funktionert der Song, den schon die Pet Shop Boys coverten, als gänzlich entschleunigte Piano-Ballade nämlich ganz wunderbar.
Es sind diese introspektiven Momente zwischen Pop, Deep House und Eno-esken Ambient-Texturen, nach denen Andy Butler auf "Blue Songs" überraschend häufig schürft. Im von Flöten umwehten "Blue Song" findet er schließlich sogar seine eigene, wenig kapriziöse Stimme. Butler ist also bei sich angekommen. Zwar ist er damit auch in einem Gemischtwarenladen moderner Tanzmusik gelandet, aber ein Herkules muss ja letztlich auch einmal etwas essen.
1 Kommentar
Ich kann diesen ganzen Hype um HLA nicht verstehen. So toll finde ich das Projekt wirklich nicht und als Revolution sehe ich sie schon garnicht.