laut.de-Kritik

Eine komplexe und kurzweilige Stilwundertüte.

Review von

Wer im Großraum Post-Hardcore der letzten Jahre nach besonderen Innovationen suchte, hat vermutlich sehr bald schon wieder das Handtuch geworfen. Die etablierten Genre-Dinos machen ihr Ding meist gewohnt gut, einige nachrückende, junge Hüpfer*Innen tun ihnen gleich, die kleine Szene-Welt bleibt stabil, und alle sind cool damit. Eine besondere Ausnahme vom Alltagsgeschehen bilden jedoch die Londoner von High Vis, die sich 2016 aus einigen Hardcore-Bandresten zusammen gepuzzelt haben und seitdem frischen Wind ins Spiel bringen.

Ihr bereits drittes Album "Guided Tour" könnte kaum einen besseren Titel tragen, führt die Band um Sänger Graham Sayle doch durch allerhand aufregende Szenarien. Das Besondere dabei stellt die Tatsache dar, das vordergründig eigentlich überhaupt nichts Besonderes zu passieren scheint.

Die klassische Rockbandbesetzung bestehend aus zwei Gitarren, Bass und den Drums baut ein Fundament für die eigentlich auch wenig besondere Stimme Sayles, alles passt zusammen, fühlt sich augenblicklich irgendwie gut an. Da wandern lockere Bassriffs durch das stets klingelnde Klangbeet der Sechssaiter, die Trommeln wirken leicht ungreifbar und die Gesangsstimme zeigt sich gleich von einer eher rauen, aber dennoch melodischen Seite. Erst nach und nach baut sich Druck auf, die Strukturen arbeiten sich schleichend nach vorn, während unterschiedlichste Akzente unauffällig aufblühen. Wirken Melodien anfangs profan und austauschbar, brennen sie sich tatsächlich unverhohlen im Gedächtnis der Konsument*in ein. Das Wachsens eines Albums pro Durchlauf muss an dieser Stelle als Qualitätsmerkmal genannt werden, da dieses selten gewordene Wunder der Kunst hier so deutlich zu spüren ist.

Das Portfolio der verwendeten Stilelemente ist immens. High Vis in eine konkrete Ecke zu stellen, scheitert deshalb am Ende kläglich. "Guided Tour" weckt positive Erinnerungen an den Britpop der 90er Jahre, Songs wie der Titeltrack oder das post-punkige "Worth The Wait" klingen auf sehr angenehme Weise wie aus der Zeit gefallen. Es dauert gefühlte Ewigkeiten, bis die Strukturen innerhalb der Songs aufbrechen und so etwas wie ein Chorus im Raum erscheint. Einige Tracks verweisen auf die großen Indierocker der vergangenen Jahre, ohne völlig vom Post-Hardcore Kurs abzurücken. "Feeling Bless" treibt sich irgendwo zwischen dem Fahrwasser älterer Pixies und typischem Insel-Shoegaze herum, wobei Graham Sayle hier derart angepisst singt, dass man meinem könnte, es habe ihm just eine Londoner Stadttaube auf sein Shirt geschissen.

Neben recht aggressiven Nummern wie dem kratzigen "Drop Me Out" oder dem durchaus unbequemen, leicht an Refused erinnernden "Mob DLA", schlagen High Vis auch durchaus ruhigere Töne an. Das wunderbare "Untethered" etwa klingt wie ein in Töne gefasster, englischer Sommerregen und lebt neben den glockigen Gitarrenspielereien vor allem von der angenehmen Erzählstimme, die durch das Stück führt. Der schöne, britische Akzent des Sängers klingt dabei wie die Mary Poppins-Version von La Disputes Jordan Dreyer, was hier bitte unbedingt als Kompliment zu verstehen ist. Spätestens wenn es heißt "If I Shout Will You Try And Hear Me?" ist der letzten Fetzen Haut von kleinen Ehebungen durchzogen.

Zwischen den durchwegs im Großraum Rock beheimateten Songs sticht die trancige Madchesterperle "Mind's A Lie" heraus. Schräg wie der Soundtrack zu einem Drogendrama, tanzbar, weitgehend elektronisch und mit krasser Fiebertraumatmosphäre gerät der Song zu einem der Highlights des Albums.

"Guided Tour" braucht etwas Zeit um sich in voller Größe entfalten zu können. Nehmt euch die Zeit, es rentiert sich. Versprochen.

Trackliste

  1. 1. Guided Tour
  2. 2. Drop Me Out
  3. 3. Worth The Wait
  4. 4. Feeling Bless
  5. 5. Fill The Gap
  6. 6. Farringdon
  7. 7. Mob DLA
  8. 8. Untethered
  9. 9. Deserve It
  10. 10. Mind's A Lie
  11. 11. Gone Forever

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