laut.de-Kritik
Das Finale eines 20 Jahre währenden Rauschs.
Review von Dominik Lippe"'Endlich', so entfährt es seufzend unseren Herzen. Er ist zurückgekehrt aus dem Nimbus zwischen Himmel und Hölle, um abermals ins Feld zu zieh'n gegen unser aller Dämonen, für die Liebe und das Leben, für uns." Mit ausgewählt warmen Worten bereitet Schauspieler und Gelegenheitsrapper Mike Fiction die Bühne für Hiob. Sieben Jahre nach "Drama Konkret" schwingt sich der "ausgebuffte Tausendsassa" erneut auf, um seine "Abgesänge" zum Besten zu geben. "Schweigen wir nun still und folgen seiner ergreifenden Rede."
"Hier, wo man stets tief in den magischen Becher sieht und sein Gestrecktes auf der Damentoilette zieht." Als ständiger Begleiter an seiner Seite fungiert der rauschhafte Konsum. Kokain, Opium, Crystal Meth und alle denkbaren Spielarten alkoholhaltiger Getränke durchziehen die Songs des Albums. Dabei pflegt Hiob weder das Image des kaputten Junkies, noch dienen die Rachenputzer wie bei Shacke One der Unterstützung des hedonistischen Treibens. Vielmehr präsentiert der Berliner die Trunkenheit als beiläufiges und selbstverständliches Nebenprodukt des Alltags.
Ein gewisser Pegel scheint ohnehin essenziell, um das Großstadtleben zu ertragen: "Inzwischen glitzern die Paläste am Horizont. Nein, ich hab' immer noch nicht vergessen, von wo wir komm'. Zehn Jahre Hochparterre, der beschissene Müll vorm Hof. Hinterhaus, nach hinten raus, mitten im Nirgendwo." "Innehalten" birgt die Gefahr, den Sirenengesang des Erfolgs zu vernehmen. Doch wer diesem folgt, um dem tristen Dasein zu entkommen, landet geradewegs in der Falle: "Mühsam hat er den Gestank der Gosse abgeschüttelt, nur um schließlich im leiernden Hamsterrad der Banalität zu erwachen."
Mit einer ruhmsüchtigen Szene, die sich für Gucci, Louis und Prada prostituiert, können sich weder Hiob noch sein langjähriger musikalischer Partner Morlockk Dilemma anfreunden ("Keiner Von Uns"). In "Sing Seinen Namen" verdeutlicht der Berliner, dass sich der Blick nach oben ohnehin nicht loht: "Von den Pionieren bleiben nur Persiflagen."
Logischerweise setzt der "Schopenhauer der Tristesse" das Gleichheitszeichen zwischen Streben und Leiden. Die Wahrheit liegt vielmehr im Dreck: "Denn während ihre Lebenslügen im Platin glänzen, propagiert er Nächstenliebe wie Charlie Manson."
Auch wenn Hiob mitunter in arge Autorenklischees abrutscht, bleibt sein familiär vorbelastetes Talent für ausgefallene Lyrik unzweifelhaft. Doch auch für die Produktion weist er ein überaus geschicktes Händchen auf. Während er im Wedding den "Nettelbeckplatz-Blues" spielt, setzt er beim Müll rausbringen auf ein Gitarren-Sample, das Schicksalsergebenheit ausstrahlt. Trockener Boom Bap folgt auf Samples von Boogie Down Productions ("9mm Goes Bang"). "Zigaretten Holen" katapultiert den Hörer direkt in das New Yorker Set eines New-Hollywood-Films, durch das er lässig schlendert.
Zwar hinterlässt Hiob auf "Abgesänge" insgesamt einen festgefahrenen Eindruck, doch blitzt etwa in "Alles Wie Immer" die Erkenntnis auf, dass "die feige Flucht in den Alkoholismus" nicht allein seligmachend ist. Gegenüber rap.de berichtete der Berliner dann auch, dass er die Fertigstellung des Albums noch fürstlich gefeiert habe, danach jedoch in eine "Katharsis-Phase" eingetreten sei:
"Seitdem habe ich irgendwie keine Ambitionen mehr, mich zu betrinken. Wenn man 20 Jahre konsequent gesoffen hat, ist der nüchterne Zustand aber auch einfach spannend." So markiert das Album das Finale eines Lebensabschnitts und zugleich den Wendepunkt in Richtung eines noch unbekannten Stadiums.
4 Kommentare mit 3 Antworten
4.5/5
Grandiose Platte. Funkiger, leichter Vibe. Steht ihm gut. Diesmal auch eine sehr gute Klangqualität, saftige Abmische. Im Vergleich zu "Apokalypse Jetzt" klingt das um Welten besser.
Favorit: Unser Lied / Krankenwagen
Wurde aber auch Mal Zeit, dass die Review kommt.
4/5 geht klar, 5/5 wäre auch gegangen. Textlich tatsächlich ein bisschen festgefahren (aber er war auch schon lange einer der Besten Schreiber Deutschlands), dafür die Produktionen ein Meisterwerk. Einzig letzte Runde gefällt mir nicht so gut, wobei es zum Thema passt.
Selten ein Album gehört, dass gleichzeitig Straße ist und trotzdem so musikalisch, so leichtfüßig bis tanzbar. Dazu noch tiefgründige Alltagsbetrachtungen und routinierte delivery. Ach, was soll's, 5/5 von mir!
Finde diesen Rapstil inzwischen nicht nur bloss anstrengend, sondern unhoerbar. Auch Dilemma kann ich mir nicht mehr geben.
Mitsamt der laschen, lahmen beats kommt man dann auf verdiente 1/5.
Mir gefallen die Instrumentals auch sehr gut. Harmonieren zudem hervorragend mit der Absacker-Romantik, die sich durch das Album zieht, Skits inbegriffen. Hiobs poetische Sprache sowieso unbedingt ein Pluspunkt.
Aber: Selbst mir als bisherigem Nicht-Kenner seiner Solosachen kommt das halt alles arg bekannt vor. Sowohl thematisch als auch von der Umsetzung her. Und immer noch dieselbe springende Schallplatte - ja genau, leider. Schön, dass er seine Nische gefunden hat, steht ihm ja auch fraglos, aber anders als bei Spezi Dilemma sind mir seine Parts einfach nicht spektakulär genug, um auch Track 17 nach Schema F noch abzufeiern.
Ein schön rund inszeniertes Stück Stillstand, noch mehr aus meiner Sicht aber nicht.
Witzig, dass du den Dilemma Vergleich bringst. Ich finde es irgendwie genau umgekehrt und kann mir Morlockk seit 2014 nicht mehr gut geben, weil er zu verkrampft, comichaft und wie die 7 Staffel einer früher mal guten Serie klingt.
Hiob hat auch nichts neues zu erzählen, aber flowt entspannter und war besser darin, kein Abziehbild von von sich selbst in besseren Tagen zu werden.
Kann ich gut nachvollziehen, die letzten Dilemma Outputs waren auf jeden Fall auch sehr nach seinem typischen, mittlerweile gut abgehangenem Muster gestrickt.
Letztendlich ist es wahrscheinlich gerade der Fokus aufs Handwerkliche, der mich den verkrampften Dilemma dem entspannteren Hiob vorziehen lässt. Für mich gilt im Zweifel einfach Geflexe > Stil.
Stimmt schon, dass die Themen immer noch die gleichen sind wie auf dem sieben Jahre alten Drama Konkret. Ich persönlich mag die Stimmung, das Abgefuckte, der letzte tighte Straßenköter. Es hat für mich auch immer so einen gewissen Flair, einer der wenigen Momente in denen eine Je ne sais quoi angemessen ist. Es wirkt nostalgisch, wirkt ein bisschen wie siebziger, dreckig, drogen, ein bisschen wie goldene zwanziger, mondän, exzentrisch. Diese Stimmung, die bestimmt auch durch das Vokabular ("fürwahr!") und durch die Samples ("Bushammer" erinnert mich von der Stimmung her total krass an die zwanziger, an Berlin Alexanderplatz, an Schellackplatten, an Ganoven aus einer anderen Zeit), die feier Ich so sehr, das kann gerne immer die selbe Geschichte sein, solange sie neu erzählt wird.