laut.de-Kritik
Die Höllenfahrt endet mit einem Funken Hoffnung.
Review von Josephine Maria BayerWer Hoziers neue Platte "Unreal Unearth" in vollem Umfang verstehen und genießen möchte, sollte dringend eine Bibliothek aufsuchen. Zahlreiche literarische Zitate und Anspielungen durchziehen das dritte Studioalbum des Iren aus dem County Wicklow. Allen voran die "Göttliche Komödie" von Dante Alighieri. Die Höllenfahrt des italienischen Dichters diente Hozier als Inspiration und thematischer Rahmen der sechzehn Songs, die zwischen unheimlich und unbeschwert hin- und her pendeln. So unberechenbar wie das Leben selbst, befasst sich das Album mit den unterschiedlichsten Höhenflügen und Tiefpunkten des Menschseins.
Auch zehn Jahre nach "Take Me To Church" singt Hozier von Sünde, Verdammnis und Hoffnung. Seine Texte handeln von menschlichem Eigensinn und Resilienz im Angesicht der widrigsten Umstände: Selbst die Erdanziehung lässt Ikarus nicht an seinen Ambitionen zweifeln ("I, Carrion"). Nicht einmal das Höllenfeuer ist stärker als die romantische Leidenschaft ("Francesca"). Eine Zeile im Gospel-lastigen "All Things End" beschreibt den Trotz, mit dem das Leben dem Tod immer wieder die Stirn bietet: "And just knowing that everything will end should not change our plans".
Von widrigen Umständen und dem Wieder-Aufstehen können auch die Iren ein Lied singen. Hozier, der seinen Geburtstag am St. Patrick's Day feiert, wirft einen Blick auf die Geschichte der Insel und die Zeit der Unterdrückung durch die Englische Krone. Dabei singt Hozier erstmals auf Irisch. Mit "Butchered Tongue" erinnert er an die traurige Zeit, als das Sprechen der gälischen Sprache in Irland verboten war, "To Someone From A Warm Climate (Uiscefhuarithe)" zeigt die Schönheit der alten Sprache auf, die einen eigenen Begriff für "etwas, das vom Wasser gekühlt wurde" ("Uiscefhuarithe") hat. Im Outro des folkigen "De Selby (Part 1) singt er von einer mystischen Geliebten.
Das anschließende "De Selby (Part 2) kündigt mit seinem wummernden Synth-Bass eine klangliche Metamorphose an. Bis auf wenige Ausnahmen verabschiedet sich Hozier mit "Unreal Unearth" vom folkig-bluesigen Klang der beiden Vorgängeralben. Seine Liebe zu R'n'B- und Soul scheint noch deutlicher durch als bisher. Die Songs wirken abgeschliffener und poppiger produziert. Ein wenig fehlt die Nähe und akustische Rohheit, die Hozier auf seinem selbstbetitelten Debutalbum und "Wasteland, Baby!" vermittelte.
Es ist, als sei der Sänger auf der Suche nach einem neuen Sound und neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Diese Suche drückt sich in einem überraschenden Mischmasch an Stilen aus. Das stolpernde Klavierintro von "Who We Are" weicht einem Amy Winehouse-inspiriertem Refrain, die helle Gitarrenbegleitung und Hoziers rufender Gesang in "Anything But" erinnern an Van Morrison. "Damage Gets Done" klingt hingegen wie der Indie-Rock Soundtrack einer Coming-Of-Age Serie. Gemeinsam mit Brandi Carlile legt Hozier richtig los, doch leider fehlt es dem Song an abwechselnder Dynamik. Das Duett wirkt daher etwas überanstrengt. Der instrumentale Track "Son Of Nyx" und der abschließende Song "First Light" schlagen unheimliche Töne an. Letzterer bietet ein Chor-Intro, das aus dem Soundtrack der Harry Potter-Filme stammen könnte.
Licht und Dunkelheit, Leben und Tod, unbeschwerter Pop-Rock und gruselige Harmonien machen "Unreal Unearth" zu einem Album der Kontraste. Im Musikvideo zu "De Selby (Part 2)" schaufelt sich Domhnall Gleeson sein eigenes Grab und begräbt sich bei lebendigem Leibe, nur um sich danach, mehr oder weniger unversehrt, in einem irischen Pub wieder zu finden. Überraschung: Das Leben geht weiter, auch wenn die Chancen dafür mehr als schlecht standen. So, wie Dante schlussendlich dem Inferno entflieht, endet auch Hoziers Höllenfahrt mit einem Funken Hoffnung: "The sky set to burst, the gold and the rust. The colour erupts. You filling my cup. The sun coming up (...) Some bright morning comes."
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