laut.de-Kritik
Die ehemals Stillen wollen nicht weiter ruhig sein.
Review von Rinko HeidrichEs passiert nicht oft, dass eine Indie-Band aus Deutschland dem internationalen Standard gerecht wird. Hundreds, das Projekt der Geschwister Milner, klingt so urban, dass sie auch aus London oder Los Angeles kommen könnten. Eva und ihr Bruder, Produzent Phillip, ergänzen sich mit ätherischem Jazz-Gesang und feinen Electronic-Produktionen so gut, dass zwei Alben es in die deutschen Charts schafften. Erstaunlich, zumal gerade das introvertierte Album "Wilderness" weniger auf Tanzbarkeit als viel mehr auf intensive Stimmung setzte.
"Dark times are over now/we scared them off/and it all begins" heißt es im Opener "Vessel In The Sky" und macht klar: Der strenge Sound von früher soll nun einem leichteren Pop weichen. Dabei klingt der Einstieg in "The Current" erst einmal nach der bekannten Melancholie. Erst später kommt das große Erstaunen, wenn "Ready Shaking Silent" mit fröhlichen Melodien voraus stampft und nach kunstvollem Pet Shop Boys-Gefrickel klingt. Die sonst melancholische Stimme von Eva erhebt sich im Refrain und verkündet "I’m setting fire to your scalp, hungry for the fight!". Ein Aufruf zu Aktivismus, Solidarität und Feminismus, wie sie selbst in einem Interview erklärte. Die ehemals Stillen wollen nicht weiter ruhig sein und hissen das Banner.
Das ist eine unbekannte Seite und ein mutiges Experiment, schließlich haben sich die Hamburger mit ihren in sich gekehrten Electro-Klängen einen Namen gemacht und nicht als Pop-Band. So richtig sitzen die Kleider aber nicht, zumal sie teilweise auch geborgt wirken. "Calling" klingt im Refrain ziemlich nach Metric, die mit ihrem Ursprung als festivalerprobte Rockband solchen Songs einen Drive geben, der hier leider fehlt.
Wie sehr sich Hundreds damit letztendlich unter Wert verkaufen, macht das The Notwist-Cover-"Consequence" klar. Hier, mitten im Drama und dem einfühlsamen Arrangement, liegt das Zuhause. Diese zärtliche Interpretation dürfte der neue Standard für zukünftige Interpretationen der Weilheimer Indie-Legenden markieren. Eva Milner verleiht dem Song endgültig die emotionale Tiefe, die Markus Acher mit seiner verschlufften Stimme nie ganz erreichte.
Überhaupt dreht sich ab diesem Moment das Album in eine zweite Hälfte, die zwar weniger Risiken eingeht, aber die Stärken der Band besser betont. "The Bombs" führt zurück zu den Abgründen, die Hundreds eigentlich nicht mehr betreten wollen. Fast perfekt arrangiert führen Zupfinstrumente und ein unheilvoller brummender Synthie-Bass durch die bekannten Pfade abseits von Licht und Hoffnung.
So sehr einem die psychische Gesundheit der Band am Herzen liegt; für solche Highlights möchte man sie - natürlich vollkommen eigennützig - für ewig vor der Sonne schützen. Im Dunkeln gedeiht die Nachtschatten-Kunst aus Hamburg am besten, wie der Trentemøller-ähnliche Abschluss "The Riptide" eindrucksvoll unter Beweis stellt. So gerne man der Stimme von Eva zuhört, auch instrumental und mit konzentriertem Minimal-Electro funktioniert alles prächtig.
Wer die große Elbphilharmonie noch im Januar mit einem Orchester verzaubern konnte und auf eine zehnjährige Karriere zurückblickt, sollte vielleicht doch noch mal genauer überlegen, wie weit die Tür zum Mainstream offen bleibt.
5 Kommentare
"I´m raising my banana" - wenn ich das nicht in "Calling" ständig hören würde, wäre das ein toller Song. So nervt der tierisch.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
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Lang nicht aufm Schirm gehabt. Wird gecheckt