laut.de-Kritik
Nachschlag nach dem Banger des Jahres.
Review von Yannik GölzEs ist kein halbes Jahr her, seit ITZY mit "Wannabe" ihren bisher besten Song abgeliefert haben. Aber die K-Pop-Mühlen mahlen schnell und an Arbeits-Ethos übertrifft ihr Label JYP so schnell niemand. Also legt das Fünfer-Gespann nun schon ein neues Mini-Album nach. "Not Shy" hält Tempo und Attitüde mit ein paar zuckerschubschnellen Nummern oben, entwickelt ihren originellen Sound zwischen Hyperpop und Flickenteppich aber auch nicht weiter.
Der erste Unterschied zur bisherigen Arbeit ist die Abstinenz eines alles in den Schatten stellenden Flagschiff-Tracks. Ein "Dalla Dalla", "Icy" oder "Wannabe" findet sich hier nicht, dafür aber gleich zwei Nummern, die für andere Gruppen mehr als würdig gewesen wären. Der eigentliche Titeltrack kombiniert ein bisschen billig klingende Western-Trompeten mit einem fesselnden House-Beat aus der DJ Snake-Schule. Rap-Verses und in sich überschlagende Beat-Breaks brechen ineinander ein, der Vocal-Chorus brettert vor allem dank fantastischer Adlibs durch den Song. Wenn Chaeryeong ein ausgiebiges "ITZAAAY" durch den Chrous johlt, kommt die Energie auch in der letzten Reihe an.
Trotzdem fehlt "Not Shy" die Grandiosität bisheriger Titel. Der Song wirkt etwas kleinteilig, der Bombast und die Hymnenhaftigkeit kommt eher auf "Don't Give A What" (ja, was geben sie denn nun nicht?) zustande. Dieser Techno-inspirierten Rap-Song klingt, als hätte man LOONAs "So What" noch einmal beschleunigt und mit etwas mehr Pop-Punk-Elementen ausstaffiert. Vollgas-Teen Crush-Ästhetik, die man mögen muss, aber wer bei diesem Pre-Chorus nicht ins Kopfnicken gerät, der muss es mit Popmusik nicht so recht haben. Am Ende hebt sich über den Dancebreak Madonnas "Vogue" als Sample und ein kurzes Gitarren-Solo fegt über bretterne House-Kick-Viervierteltakte - "Don't Give A What" führt nah ans Dance-Pop-Nirvana.
Nach dieser Titeltrack-Doppelkrone fehlt es den nächsten beiden B-Seiten etwas an Biss. "Louder" und "ID" spielen mit den Self-Empowerment-Phrasen der Gruppe. Auch wenn die chaotischen Rap-Parts auf "Louder" erfrischend rohe PC Music-Vibes mitbringen, ist die Grenze zum Klischee hier doch mehr als ein paar Mal überschritten. Leider eher auf die unangenehme Art und Weise.
Aber gerade wenn man die EP schon abschreiben will, kommt eine überraschende Kehrtwende zum Ende zustande: "Surf" nimmt Surfrock-Strukturen und restauriert sie zu einem zeitgemäßen Disco-Pop-Stück. Gitarren-Licks vermengen sich mit butterweichen Vaporwave-Echos und stimmlich bewegen sich Itzy erstmals weg von ihren Bohrer-Raps und Cheerleader-Chants, näher hin zu "Summer Nights"-Ära-Twice. Gerade mit Lia und und Yuna im Gespann kommen beeindruckend smoothe Vocal-Harmonien zustande. "Be In Love" schließt mit einer süßen, aber unspektakulären Ballade, die ein bisschen an die letzte Weeekly-EP "We Are" erinnert.
Vielleicht fehlte "Not Shy" die Zeit, um den aktuellen Standort von Itzy nach "It'z Me" zu verorten. "Wannabe" war ein kultureller Moment, die Nummer wird K-Pop-Playlists noch für Jahre dominieren. Wie man diesen Sound zwischen Hyperpop, Pop-Punk und vorwärts denkenden Songstrukturen aber noch weiterentwickelt, dazu bietet dieses neue Mini-Album wenig Antworten. Der Titeltrack und "Don't Give A What" liefern Itzy-Sound zum durch den Sommer kommen, "Surf" ist ein gelungenes Experiment, die Gruppe auf einen aktuellen Trend zu übersetzen. Es ist nicht so, als würde "Not Shy" an irgendeinem erklärten Ziel scheitern. Aber Itzy hat derzeit so viel Feuerkraft unter der Motorhaube, da hätte man die Ziele schon eine Sprosse höher stecken können.
1 Kommentar
In welches JellyBeansSilo muss man als Kind gefallen sein, um Autotunekrams und diesem quietschesüßen Plombenziehermüll was abgewinnen zu können?