laut.de-Kritik

Gegen so viel Sirup klingt Katy Perry wie Death Metal.

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Wer koreanischen Pop für einen einheitlichen Blob hält, der irrt: In den letzten fünf Jahren hat sich besonders für Girlgroups Musik und Präsentation so drastisch verändert, dass die ersten Fans Nostalgie für die Ära 2010 empfinden. Da trifft es sich, dass das Label Play M Entertainment eine neue Gruppe an den Start bringt, die exakt zehn Jahre später das Erbe der Bubblegum-Veteranen von Apink antreten. Weeekly heißen die Neuen und bedienen statt den Trends eben jenen Sound. Ihre erste EP klingt so überkandidelt und pastellfarben, dass sie jeden abholen wird, den die Girlcrush-Dynastie von Blackpink, (G)I-Dle oder Everglow ermüdet.

Weeekly geht zurück an den Anfang der Jahrzehnts, als neben Schwestergruppe Apink die größten Namen der Szene Girl's Generation hießen. Girlgroups spielten damals so butterweich und cutesie, dass sie auf dem Grat zwischen ikonischem Pop-Destillat und Gruselkabinett veralteter Rollenbilder balancierten. Deshalb freute internationale Fans der Wechsel zum Girl Crush, der Wechsel hin zu starken Frauen, mehr Kante und einer ganz anderen Energie. Weeekly haben die neuen Zeiten sicher nicht verschlafen. "We Are" geht nicht zu stumpfen Girlfriend-Plattitüden zurück, sondern reichert den Sound der Vergangenheit mit zeitgemäßem Selbstbild an. Themen sind Selbstinszenierung, das Leben in den sozialen Medien und Freundschaft. Alltag eben, nichts zu Außergewöhnliches, aber es klingt, als hätten die Protagonisten ehrlichen Spaß dabei.

Klassiker wie "Gee" oder "Mr. Chu" haben musikalisch ja überhaupt keinen Glanz eingebüßt. Weeekly hat nur verstanden, dass es cool wäre, wenn sie existieren, ohne dass die Frauen im Video zu wortwörtlichen Schaufensterpuppen deklassiert werden. Die B-Seite "Hello" nimmt deshalb deren Sound Volley: Upbeat-Grooves, Dur-Harmonien, Chants im Hintergrund und eine Armada an Bell-Synthesizern. So viel Sirup, so viel Zuckerguss, hiergegen klingt Katy Perry wie Black Metal. Aber die tiefenentspannte Slice of Life-Ästhetik entsteht, ohne die Sängerinnen in das Korsett männlicher Fantasie zu zwingen. Der große Unterschied zwischen Girlgroups dieser und früherer Generationen ist, dass die Zielgruppe inzwischen eher aus Frauen als aus Männern besteht. Entsprechend zielen Gruppen wie Weeekly auf Empowerment statt auf Gefälligkeit; ein Perspektiv-Wechsel, der den Inhalt so viel ansprechender macht.

Selbiges gilt für den Intro-Track, der ein bisschen wie ein Fiebertraum aus Lazy Town klingt (also der Fiebertraum im Fiebertraum). "Reality" schließt mit einer melodisch komplexen und kugelrund harmonischen K-Pop-Ballade ab, die von Mitglied Jiyoo mitgeschrieben wurde, während "Universe" mit moderneren R'n'B aus der Red Velvet-Spielart experimentiert.

Den Matchwinner bringt jedoch einmal mehr der Titeltrack. "Tag Me (@Me)" entpuppt sich als klares Flaggschiff des Weeekly-Sounds und zeigt, was sie von einem Throwback-Act unterscheidet. Der klassische Sound wird renoviert, rekonstruiert und mit den besten Ideen aus dem Oeuvre von Blackpink oder Itzy erweitert: Die Komposition durchsetzt hier Pastell-Pop mit dem Flickenteppich-Stil der neuen Generation, tödlich eingängigen Pop-Punk-Gitarren und einem unausweichlich griffigen Beat.

Der Song überzeugt mit durchschlagendem Tempo, die Kurve zwischen Strophen, Chorus und Post-Chorus bildet eine einzige Rampe und schanzt so widerstandslos durch den Song, dass man an keiner Sekunde aus dem Flow aussteigen möchte. Trotz des homogenen Sounds finden viele Ideen ihren Weg in die Nummer, ein Dancebreak und Rap-Part kollidieren keinen Zentimeter mit dem mitreißenden Vocal-Chorus.

"Tag Me (@Me)" macht Pop wie eine Wasserrutsche, Hook nach Hook, Attitüde ohne Ende und eine Passage ist eingängiger als die nächste. Weeekly stehen zwar noch am Anfang ihres Werdeganges, aber mit diesem Debüt platzieren sie sich weit oben auf dem Totempfahl der Tonangeber einer neuen Generation. "We Are" zeigt, wie eigenständig und musikalisch originell die koreanische Szene sein kann.

Trackliste

  1. 1. Weeekly Day
  2. 2. Universe
  3. 3. Tag Me (@Me)
  4. 4. Hello
  5. 5. Reality

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2 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    "Der große Unterschied zwischen Girlgroups dieser und früherer Generationen ist, dass die Zielgruppe inzwischen eher aus Frauen als aus Männern besteht. Entsprechend zielen Gruppen wie Weeekly auf Empowerment statt auf Gefälligkeit; ein Perspektiv-Wechsel, der den Inhalt so viel ansprechender macht."

    "Weeekly hat nur verstanden, dass es cool wäre, wenn sie existieren, ohne dass die Frauen im Video zu wortwörtlichen Schaufensterpuppen deklassiert werden."

    Wer ist denn hier mit Weeekly gemeint, die Band oder das Label? Ich weiß jetzt natürlich nicht, wie das bei Weeekly spezifisch aussieht, da wird es innerhalb der Industrie sicherlich auch Unterschiede und Schwankungen geben. Aber generell ist eine Band für ihre vorgeragene Empowerment-Thematik zu zelebrieren, wenn per Industriestandard den Künstlerinnen das Privatleben minutiös vorgeschrieben wird, dann schon irgendwie auch ein bisschen problenatisch oder nicht? Die Lyrik/Ästhetik macht sie dann vielleicht nicht mehr zu Schaufensterpuppen, die Industrie aber weiterhin. Die Rezi ist ja auch zynisch/realistisch genug, das mit dem Zielgruppenwechsel zu begründen.

    Die Frage für mich ist halt, ob man sich mit so etwas zufrieden geben sollte. Sollte man das unreflektiert abfeiern, weil auf der Wurstverpackung jetzt glückliche Schweine abgebildet sind statt was auch immer oder gehört das zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Musik irgendwie dazu, genau wie es bei entsprechenden Raprezis vielleicht angebracht ist, die enthaltene Homophobie/Frauenfeindlichkeit zu besprechen.