laut.de-Kritik

Wie Death Grips zur Kirchenweihe.

Review von

Als ich Iceboy Violet das erste Mal erlebt habe, kam er mir wie eine Offenbarung vor. Ich war auf dem Berlin Atonal-Festival auf dem Weg zur Liveshow von Lil Mariko (ja, das "Where's My Juul"-Mädchen, ich weiß auch nicht so genau). Sie hat sich die Venue an diese Abend mit zwei anderen Artists geteilt, die ich beide nicht kannte – und der erste war auch relativ langweilig. Und dann kam ein gewisser Iceboy Violet. Keine Ahnung, was ich erwartet habe, der Name klang für mich wie Soundcloud-Rap, oder so. Nichts da.

They stand dann schließlich auf der Bühne, aber eigentlich mehr von Anfang an mitten in der Crowd. Eine große, energische, androgyne Erscheinung mit Beats, die wie die depressiven kleinen Cousins von Death Grips klingen und ein zeternder, übermannender Rapstil, als würde da gerade etwas beschworen werden. Es war irgendwie gleichzeitig klar, dass hinter dem schwer verständlichen Gemurmel von Iceboy wahrscheinlich relativ depressives Zeug steckt, trotzdem hat er es so zelotisch auf diese bebenden, schmetternden Beats gepackt, dass man sich gefühlt hat wie in einer Anrufung.

Es war vielleicht mit die beste Show, die ich in einer ganzen Weile gesehen habe, und seitdem hoffe ich auf ein neues Projekt von dieser Person; so viel zum Hintergrund, um ein bisschen die eingehende Begeisterung zu erklären, mit der ich mich auf "Not A Dream, But A Controlled Explosion" stürze. Im Feld des experimentellen Hip Hops gibt es gerade keine so einzigartige und faszinierende Stimme; und jetzt gerade sind wir alle ziemlich früh dran damit, them zu entdecken.

Mit einer knappen Laufzeit von einer Viertelstunde hat das als Album ausgeschrieben Projekt zwar eher EP-Format und löst damit das bereits recht kurze "Vanity Project" von letztem Jahr ab. Die Kürze bedeutet aber nicht, dass dieses Projekt es musikalisch nicht in sich hat. Schon das kurze, cinematische Intro führt in eine glimmende, nokturnale Welt ein, man denkt ein bisschen an das Vaporwave beerbende Dreampunk-Genre, an Ambient, an geile, elektronische Kompositionen. Man fühlt sich ein bisschen, als würde man in einem Raumschiff entführt werden.

Diese brillante elektronische Zusammenstellung behält sich "Not A Dream But A Controlled Explosion" bei, wenn zwischen weitreichenden Ambient-Sounds und sperrigem Fuzz und tighten, fast ein bisschen tribalen 808s eine Klangkulisse eröffnet wird, die geisterhaft, durchspukt und futuristisch zugleich klingt. Die Vocal-Samples auf "Black Gold" klingen spooky und windig, auf "Refracted" wirkt die selbe musikalische Idee dann schon viel sakraler, es gebietet fast Ehrfurcht, so dicht und unheimlich kann die Atmosphäre dieses Tapes werden.

Mit Horrorcore haben wir es trotzdem nicht im Geringsten zu tun. Es fühlt sich eher an, als würde man einem Ritual beiwohnen; man war einfach nur spazieren, spät abends in der Heimatstadt der Eltern, folgte einem seltsamen Geräusch und guckt nun im Gebüsch versteckt den Hang hinab zum Cyber-Lagerfeuer. Und Iceboy Violet als MC komplettiert dieses Bild nicht nur, they ist der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Stimmung.

Ich tue mich sehr schwer damit, den Text auf diesem Album mitzunehmen. Immer wieder treibt ein Fetzen auf, oft wirkt es aber nur wie ein anhaltender, bebender Rant in einer kaum verständlichen Sprache. Die immense Bearbeitung, manchmal wird die Stimme sogar komplett runtergepitcht hilft an dieser Front nicht. Am ehesten erinnert they an einen Earl Sweatshirt in einer völlig anderen musikalischen Hülle, nur pausenloser, atemloser und spiritueller. Schließt das Tape mit "Pablo's Cathedral" auf hymnischen Synths gegen einen Dancehall-Rhythmus mit einer Performance, die man nur mit "Sean Paul als satanischer Priester" beschreiben kann, scheinen alle Assoziationen bestätigt.

"Not A Dream But A Controlled Explosion" bietet eine ziemlich fremde, unerklärbare musikalische Welt. Es ist schwer, so richtig viel Sinn oder eine klare These daraus zu ziehen. Man versteht, warum Iceboy Violet auf einem Tape wie Ayas "Im Hole" vertreten war. Als Schnittstelle zu experimenteller Musik und avantgardistischen Ideen zieht es them offensichtlich zum Grotesken und Innovativen, trotzdem ist da eine klares Bekenntnis zu Roots-Kultur und Pop zu spüren. Wie schon beim Auftritt fällt es schwer, Iceboy Violet in eine Kiste zu stecken, die sich nicht sofort absolut reduktiv anfühlt. Zählen dürfte erstmal nur das, was passiert, wenn man die Musik anmacht und wirken lässt.

Trackliste

  1. 1. Not A Dream (Intro)
  2. 2. Street Dogs Have Wings
  3. 3. Black Gold (feat. Florence Sinclair)
  4. 4. Wounded Coogi
  5. 5. Refracted (feat. Orlandor)
  6. 6. Ekklipse
  7. 7. Paris, Bradford
  8. 8. Pablo's Cathedral

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