laut.de-Kritik
Retro-Grooves für Soul-Gourmets.
Review von Philipp KauseDie Finnin Ina Forsman fing auf einem deutschen Bluesrock-Label an. Mit dem Album "Blues Caravan 2016" erspielte sie sich ein Publikum in vielen Ländern, dann entwickelte sie sich im Laufe der Jahre über Jazzpop zur Retro-Soulerin. Den Vintage-Sound, wie sie ihn jetzt auf ihrem fünften Studioalbum "After Dark Hour" vollführt, betrachtet sie als Selbstverwirklichung ihres eigentlichen Stils. Was vorher als Karrieresprungbrett diente, hat sie zwar auch meist selbst geschrieben. Oft spielte sie es aber mit Session-Leuten ein oder führte es mit Jazz-Personal auf, das sie speziell für Tourneen beauftragte. "After Dark Hour" ist dagegen ihr großes Herzensprojekt.
Hierfür trommelte sie in Helsinki eine eigene Band zusammen, mit Jungs, die mit ihr auf Zeitreise in die Sixties ziehen. Die Saxophon-Fanfare im Intro von "(I Can't Believe) We Made It" macht das unmissverständlich klar. Dusty Springfield, Martha Reeves, Dionne Warwick, Brill Building-Hitfabrik, hier werden die entsprechenden Arrangements lebendig. Dazu gehören mehrschichtige atemlose, lebhafte und knapp an der Übersteuerung geschmetterte Harmony-Vocals mit irren Katharsis-Kurven und Spannungsbögen. Obendrauf darf die Lead-Guitar ein bisschen laid-back Surf-Sound mimen. In den schnellen Nummern geht im orchestralen Getümmel alles so rasant, dass die einzelnen Bestandteile im quirligen Allerlei zu großen Gefühlsausbrüchen verschwimmen.
Ein leicht beschwingter Midtempo-Schmuse-Tune wie "As Long As It Takes" greift trotz etwas Pathos mit seiner poppigen Melodie einen der unerwarteten Jahres-Chartbreaker 2023 auf: "Walk On By", verkleidet als "Paint The Town Red" in der Version von Doja Cat. Damals bewies die Beliebtheit, dass es wieder einen Markt für solcherlei Art Retro zu geben scheint. "Pass You Bye" unterstreicht stilistisch den Wunsch Ina Forsmans, eines Tages mal mit Eli Paperboy Reed zusammen zu arbeiten.
Ina kann hinten im Schlund gurrende Töne produzieren, wie sie als brüllende Löwin in "That Is All" zeigt, wo sie dann stellenweise urplötzlich für eine Zeile in Sopran-Gewieher wechselt. Ein bisschen Norah Jones-Gemaunze gibt's dagegen im Schlusslied "First Of June". Die Platte heißt "After Dark Hour", denn sie bricht aus der Unsicherheit der Lockdown-mit-anschließender-Inflation-Jahre aus und sie bricht auf in eine Zukunft voller Entschlossenheit trotz der bleibenden "darkness at the end of the tunnel", am Ende einer persönlichen Schreibblockade. Der Titelsong thematisiert, welche Selbstzweifel Ina empfand. Sie schrieb ihn als erstes, um sich ihr Tief klar zu machen und in ein Format zu packen - der Startschuss fürs Projekt! "I'm gonna be OK (...) I should buy myself flowers, Baby", heißt es in diesem stürmischen Track. Schlüsselwörter fallen wie "celebrate" und "bless", die Songwriterin betreibt aktives, auto-suggestives Mood-Management. Die Sixties-Analog-Orgel unterlegt das Ganze stimmungsvoll.
Der Rest des Albums sollte ausgehend vom Titeltrack "groovy und uplifting" sein, erzählt uns die Skandinaverin. Tatsächlich kickt das Album oft, mit "(I Can't Believe) We Made It" als gute-Laune-Peak und hat nur sehr selten schläfrige Momente. Eine besondere Stärke der Platte sind ihre interessanten Liedanfänge und -enden. Da finden sich jeweils besondere Schlenker. Die Scheibe ist bereits darauf ausgelegt, live performt zu werden. Die meisten Stücke punkten passend dazu mit atmenden Dramaturgien, in denen schon kleine Soli für die Instrumente angedeutet sind. Live dehnen sie sich auf Tour. Zwischen dem süßlicheren und üppig ausgestatteten "Four Seasons" einerseits und den rau-angefunkten Tracks andererseits pendelt das Album. Die Stücke mit Funkiness in Rhythmus und Feeling wie "Good Man" mit Keyboards im Zentrum oder "Freedom Manifesto" bilden den intensivsten Teil der Platte.
"Freedom Manifesto" startet mit einer Megaphon-Durchsage von einer Demo. Es ist der Song, der am meisten 'pushy' hinsichtlich der stolpernden Drums und präsent bezüglich des ausnahmsweise nach vorne gemischten Gesangs ist. Die meisten Stücke verstecken die Vocals dagegen eher im Ensemble-Sound. Beim "Freedom Manifesto" samt halbwegs gerappter Sequenz kommt es der 30-Jährigen jedoch gar nicht so sehr auf die Worte an. Sondern eher auf ein Gefühl, wie sie uns im Detail erläutert.
"Das ist ein etwas komplexer Song. Als ich ihn schrieb, dachte ich darüber gar nicht so sonderlich nach. Es ging mehr darum, poetisch zu sein, meiner Intuition zu folgen und zu schreiben, was sich gut anfühlt. Es sollte ein bisschen lustig sein, funny und funky. Die zugrunde liegende Idee war eigentlich, dass ich ein Meme online gesehen habe. Mit dem Motiv: Frauen, die frei sind. Im Schreibvorgang war das mein roter Faden, am Ende kam was ganz anderes dabei raus. Das Lied hat damit nichts mehr zu tun. Somit ist tatsächlich der Song ein Beispiel für Freiheit, denn er folgt keiner Regel und keinem Konzept und steht auch im Abstand zu allen anderen Tracks der Platte. Freiheit heißt hier also: Spaß haben, keinen Regeln folgen, keinen Erwartungen."
Der Abgleich mit der Wirklichkeit erweist sich dagegen als brutal hart, mit einem Gegensatz zur Freiheit: "Als Künstlerin fühle ich mich als Gefangene von Social Media. Wenn du sie nicht nutzt, besteht eine äußerst geringe Chance, dass dein Einkommen, deine Fanbase wachsen. Dass du immer übers Content-Createn nachdenken musst, und wie oft und mit wie vielen Likes, ist stressig, schrecklich, traurig, raubt Hoffnung."
Forsmans besondere Empfehlung und mein zweites Lieblingsstück auf dem Longplayer ist die tropisch-schwüle Fusion-Nummer "Mama's Groove", deren führendes Brass-Riff mich ein bisschen an die Titelmusik der einstigen ZDF-Physik-Show "Knoff Hoff" erinnert. - "Das ist ein Fun-Song. Er bringt euch zum Tanzen oder lässt euch 'funky' fühlen", gibt uns die Sängerin mit auf den Weg Richtung Wohlbefinden. Neben den weiteren genannten Highlights "Good Man", "That Is All" und "(I Can't Believe) We Made It" beeindruckt der Psychedelic-Northern Souler "Stubborn". Ina ist Deutschland treu geblieben, wohnt teilzeitmäßig in Berlin und ist aktuell bei der Freiburger Firma Jazzhaus gesignt. Somit werden wir die Songs von "After Dark Hour" auch öfter mal live erleben können, was sich definitiv mehr lohnt als das Wischkästchen zu streicheln und Timelines durch zu scrollen.
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