laut.de-Kritik
Mit dem Jet aus Europa zurück in den Reggaeton.
Review von Yannik GölzWenn man gute Popmusik hören will, ist Reggaeton seit ein paar Jahren mit die heißeste Adresse auf der Welt. Was auch immer bei den Lateinamerikaner*innen im Wasser liegt, die Renaissance vor Ort lässt nicht nach: Artists wie Karol G oder Bad Bunny sind quasi Garantien für catchy Musik mit fantastischen Klangfarben und Texturen. Falls allerdings doch gefühlt zu viel Kulturdistanz zum Genuss von Tapes wie "Tropicoqueta" liegen sollte (was nicht heißt, dass das neue Projekt von Karol G nicht auch klar empfohlen sein sollte, checkt bitte den Song "Ese Hombre Es Malo") - gibt es etwas tiefer im Untergrund ein paar Artists, deren Hybridität vielleicht auch für uns hier leichter zugänglich sind.
Ich spreche ganz konkret von Isabella Lovestory, deren letztes Projekt "Amor Hardcore" wir hier ja bereits auf dem Teller hatten. Die streckt ihre Fühler immer wieder gewinnbringend über den großen Teich und kollaborierte schon mit Artists wie Shygirl, Mura Masa, Bladee, LE SSERAFIM oder nun andeutungsweise vielleicht auch mit den Death Grips. Man hört ihrer Musik also die Sozialisierung von Honduras via Virginia bis nach Montreal an: Da ist eine Neugierde in verschiedenste Sounds auf diesem neuen Projekt, das den "aller Reaggaeton klingt gleich"-Verdacht auch für die letzten Tomaten auf den Ohren zerschmettern dürfte.
Zum Beispiel der Titeltrack "Vanity", auf dem sie sich vom typischen Drumbeat verabschiedet, um stattdessen einen eigenwilligen New Wave-Track abzuliefern, soundmäßig am vorderen Ende der MTV-Ära zu verorten. "Gorgeous" baut den klassischen Ciara-Beat von "Goodies" zu einem latinisierten 2000er-R'n'B-Hybrid um. "Tu Te Tas" könnte klanglich komplett auch auf dem Projekt einer Oklou oder von einem Yung Lean landen - obwohl ihre eigenwilligen Vocalmelodien und die Snarerolls spannende Textur geben, die so nur von ihr hätten können. "Eurotrash" schnappt sich Trance-Texturen und dreht den exotisierenden Urlaubsräuber ziemlich lustig um ("Eurotrash, dame euro, dame cash").
Aber all diese Anknüpfungspunkte sind am Ende des Tages nur Handreichungen, denn die Paradedisziplin von "Vanity" bleibt weiterhin ganz klar der Reggaeton. Und da hat Lovestory einmal mehr ein paar sehr knackige Tracks auf dem Album versammelt, die ihre starken Vorleger auf "Amor Hardcore" sogar noch einmal verdichten. Der Post-Chorus von "Fresa Metal" baut einen heftigen Synth-Breakdown über die typische Percussion. "Telenovela" wälzt sich genüsslich in einem Haufen der größtmöglichen, albernsten melodramatischen Film-Soundtrack-Klischees und findet so seinen ganz eigenen Flavour an Camp. "Putita Boutique" und "Bling" bringen diese kondensierte, perkussive Kante, die vermutlich auch Fans von Rosalías "Motomami" sehr gefallen werden.
"Vanity" ist sehr gut darin, Sounds und Texturen aus anderen Musikumfeldern in ihr eigenes Handwerk zu packen. Und auch, wenn sich darin (wenn auch weniger dicht als auf dem Vorgänger) die ein oder anderen kritischen Blicke auf Frauenbilder und den Erwartungsdruck auf Bad Bitches finden - es ist fast beeindruckend, wie knapp und punchy sie das in diese kompakten, poppigen Tunes schweißt. Fast alle Tracks hier profitieren sehr von ihren kurzen Spieldauern, nichts überzieht den eigenen Effekt, die starken Hooks und die gut strukturierten Songs geben sich die Klinke in die Hand. Außerdem vielleicht ein Vorteil: Selbst mit sehr angerostetem Schulspanisch versteht man eine ganze Menge. Sei es "mucho drama, como un telenovela", "la situacion esta bien steamy" oder das wirklich poetische "como loteria / me gané la pussy del diá".
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