laut.de-Kritik

Disco für Leute, die gar nicht tanzen wollen.

Review von

Jack Savoretti ist ein emotionaler Balladier, der in Großbritannien dafür bekannt geworden ist, einen Hauch von Bella Italia in den Inselregen zu tragen. "70er Disco-Pop fürs Radio" verspricht der Pressetext und legt nahe, sich doch am besten mit einem netten Glas Rosé auf den "Riviera-Glamour" einzulassen. Für mich persönlich muss es um 8:43 mit süddeutschem Platzregen gegen das Fenster auch Leitungswasser tun, aber keine Sorge, zu "Europiana" tut sich die Sonnenklar-TV-Dauerwerbesendung ganz von selbst vor dem inneren Auge auf.

Die ganze Scheibe ist so biederer, gentrifizierter Pop, dass die postkartenförmigen Vibes wohl am ehesten geeignet wären, sie der Tante zu Weihnachten zu schenken. Wer Eros Ramazzotti mag, wird hiermit nämlich auch klarkommen. Tatsächlich zieht sich ein Hauch von Disco durch Jacks fünftes Album, aber nur so sehr, dass es ihn selbst ja nicht aus dem Fokus rückt. Zu viel den Grooves zu überlassen, das ist unheimlich, schlimmer noch - das ist zielgruppenunfreundlich. Deswegen bleibt die andere Albumhälfte fest im sicheren Balladen-Sattel. Da kennt Jack sich nämlich aus und weiß, was er leisten kann.

Was kann er also leisten? Konkret: Er singt emotional. Sehr emotional. Man könnte gar von emo-cio-nál mit einem kleinen Akzent auf dem a sprechen. Sähe man etwas weniger wohlwollend darauf, könnte man es auch so formulieren, dass all diese Songs katastrophal übersungen sind. Ein bisschen erinnert er da an den Inselkollegen Lewis Capaldi, der auch genau eine Taktik besitzt, um Emotion zu vermitteln. Sei es auf "More Than Ever", sei es auf "I Remember Us", Jack lässt keine Gelegenheit aus, mit den Stimmbändern in den Nahkampf zu gehen. Weil er so ein romantischer, vielfühliger Mann ist, mit verletzter, leidender Stimme. Muss so sein, sonst könnte er es ja nicht in vielschichtigen Lines wie "I got so many feelings" genau so ausdrücken.

Mensch, das ist so geschmackvoll, das ist so erwachsen, das ist Schlager, gewickelt in eine Polyester-Italien-Flagge. Hemd offen, Schlafzimmerblick, eine Rose in der Fresse. So geht Mittelmeer im Reisebüro. Da dankt man es, dass die andere Hälfte zumindest die komplette instrumentale Einöde aufbricht, um ein bisschen mit dem ohnehin gerade sehr populären Disco-Sound zu spielen. Und der hat durchaus seine Momente: "Too Much History" auf "Dancing In The Living Room", das sind ein paar solide Grooves, die ins Ohr gehen. Aber warum kann Jack nicht einfach mal dazu viben? Nicht mal auf einem Song darüber, mit seinen Liebsten im Wohnzimmer zu tanzen, kann er darauf verzichten zu singen, als wäre das gerade das Finale einer Wagner-Oper.

Muss man nach dreizehn Jahren Karriere wirklich noch übertreiben, als wolle man gerade ein Britan's got Talent-Finale gewinnen? Vor allem, wenn diese stetig aus dem Nichts kommende emotionale Überdosis Stimmgewalt durchgängig mit banalen Texten und unglaublich glatter, leerer Produktion gekoppelt ist. Die Disco-Nummern machen da etwas mehr Spaß, aber auch hier fehlt der wirkliche Biss. Das ist Disco für Leute, die gar nicht wirklich tanzen wollen, sondern nur auf dem Weg zur Arbeit im morgentlichen Kleinstadt-Verkehr die Hand ans Lenkrad tippen. Dafür passt diese Platte einwandfrei. Oder zum Leitungswasser-Trinken.

Und dann immer wieder dieser kurze, auditive Verweis auf Italien. Aber die Riviera und ihre Musik ist bestenfalls nicht so schmierig und flach wie das hier. Jack Savoretti schreibt sich als Charakter seiner eigenen Arbeit zum selbstgemachten Bella-Italia-Klischee eines Pilcher-Romans. Was übrig bleibt, ist der Soundtrack für einen Pauschalreiseführer und Musik, um sich in einer Touri-Falle am Strand abziehen zu lassen. Der Laden sieht toll aus und der Kellner ist höflich, aber am Ende zahlst du trotzdem einen Zwanziger für Nudeln aus der Dose.

Trackliste

  1. 1. I Remember Us
  2. 2. Secret Life
  3. 3. Who's Hurting Who (feat. Nile Rodgers)
  4. 4. When You're Lonely (feat. John Oates)
  5. 5. More Than Ever
  6. 6. Too Much History
  7. 7. Dancing In The Living Room
  8. 8. Each And Every Moment
  9. 9. The Way You Said Goodbye
  10. 10. Calling Me Back To You (feat. Gizmo Varillas)
  11. 11. War Of Words

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