laut.de-Kritik

PluggnB als Vehikel für chinesischen Arbeiter-Blues.

Review von

Ich trage dieses Album jetzt schon eine Weile mit mir herum und weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Jackzebra ging seit letztem Jahr immer mal wieder mit der Caption "der chinesische Bladee" viral. Letztes Jahr folgte er dem Interesse mit einem seltsamen, brutalistischen und schroffen Überlänge-Mixtape, das aus dem Mandarin übersetzt auf den Namen "King Of Kings" hört. Anfang dieses Jahres legte er mit einem noch lakonischeren, noch enigmatischeren Mixtape namens "Above & Beyond" nach.

Eigentlich wollte ich schon im Frühjahr über "Above & Beyond" schreiben, genau wie ich auch schon über "King Of Kings" schreiben wollte - aber beide Male ist mein Interesse an der Musik schließlich den Skrupeln unterlegen, ob ich da nicht nur einem dummen Gimmick auf den Leim gehe. Vielleicht sind die Vibes, die ich darin zu spüren glaube, reine Projektion, und dieser komische Gimmick-Artist ist wirklich nur ein chinesischer Bladee. Aber fuck it! Dieses neuere Album gehört jetzt schon zu meinen meistgehörten Projekten des Jahres und ich will zumindest einmal versuchen, diese Kuriosität für mich zu erklären.

Genau wie Bladee jenseits der Drain Gang vor allem von seiner Kollaboration mit Working On Dying profitiert hat, hat auch Jackzebra einen Link in den Westen. Seit diesem Jahr ist er beim Internet-Rap-Weirdo-Laden Surf Gang offiziell unter Vertrag und existiert damit im Dunstkreis anderer Cutting-Edge-Rapper wie FearDorian, Xaviersobased oder Lucy. PluggnB heißt das Genre, dem sich Jack am meisten zuzuordnen scheint - und das erklärt auch den Bladee-Vergleich. Bladee ist ein DatPiff-Ära-Kiddie, das die Futuristic-Ära von Atlanta durch Yung Leans Sad Boy-Yung Gud-Ära neu hat aufleben lassen. Jack dagegen nimmt mit der Plugg-Schule Atlantas einen direkten Nachfahren von der Futuristic-Ära und spült sie aus der einen Richtung durch modernes, Soundcloudiges Autotune-Gegurgel, auf der anderen Seite durch den chinesischen Cloud Rap-Pionier Bloodz Boi. Es sind also sehr viele musikalische Erbanlagen in dieser Musik, die aber teils durch sehr verschiedene Einflüsse geformt sind.

Kurzum: Nein, auch wenn die beiden in ihrem getuneten Gemurmel tatsächlich irgendwo eine ähnliche Stimmtextur hermachen, finde ich gar nicht so sehr, dass Jackzebra wie Bladee klingt. Mehr aber noch: Ich finde, diese Musik gibt auch eine ganz andere Atmosphäre her. Bladee war von Anfang an dieses völlig der Welt entschwebte Hypebeast-Kiddie. Er ist, als hätte man Atlantas DNA in die Hände von europäischen Kunsthochschul-Kids gegeben. Jackzebra dagegen bringt die selbe musikalische DNA ins Leben der chinesischen Arbeiterschicht.

Das Ergebnis davon ist Musik, die absolut erschlagen und von der Welt überfordert klingt. Das Intro "Moaning Without Reason" nimmt dahingehend Ideen von seinem bisher größten und besten Song "If You Serious You Lose": Auf lethargisch-depressiven Gitarrenlicks, keine Drums, kein gar nichts, wehklagt er sich durch die Welt. Es fühlt sich an, als hätte ein 2017-Emo Trapper daran versucht, sein eigenes "Sitting At The Dock At The Bay" zu machen. "Genieß das Gefühl, einen Wirbel um nichts zu machen", wiederholt er dann irgendwann solange, bis seine Stimme komplett in sich selbst zerbricht [alle Lyrics-Übersetzungen kommen von Genius mit kurzem Abnicken einer befreundeten Sinologin, Anm. d. Aut.].

Was folgt, ist ein dreißig Track starkes Dickicht von einem Projekt, das immerhin sehr vielversprechend mit Tracks wie "Jail" anfängt. "Ich will nicht dramatisch sein, aber wo ist der Unterschied zwischen diesem Leben und dem Knast" wiederholt er hier zum Beispiel über die Hook wieder und wieder. Der Track handelt vom 996-System, also der Idee, von 9 bis 9 zu Arbeiten, und das für 6 Tage die Woche. Das ergibt ein Wochenpensum von 72 Arbeitsstunden - und gerade bei einem abgehängten Kind wie Jack, das sich mit Mindestlohnjobs wie bei Pizza Hut durchschlägt, dringt dieses Gefühl von Erschöpfung so tief, dass man nicht mal mehr zur Wut fähig wäre.

Vielleicht ist es das, was mich so sehr für dieses Album vereinnahmt: Irgendwie ist PluggnB mit seinem eh schon sehr irrealen, übernächtigten Sound ein wunderbares Match für diesen modernen Mandarin-Blues. Gerade in Richtung der Hälfte werden die Tracks dürrer und minimalistischer, auf Nummern wie "Winter" oder "Wind" kriegen wir ganze Passagen ohne Ton. Außerdem klebt er manchmal halbherzig ausgeschnittene 6ix9ine-Adlibs ohne Kontext an die Enden seiner absolut apathisch-depressiven Tracks. Es entsteht ein Gesamtbild, das wohl sagen will: Weißt du was, scheiß doch trotzdem einfach auf alles.

Ich will nicht verbürgen, dass diese vollen 70 Minuten dementsprechend ein einfaches oder gar ein unbedingt positives Hörerlebnis für alle Beteiligten sein werden. Die Soundpalette und Jacks Delivery bleibt im Großen und Ganzen die gleiche. Trotzdem bleibt ein gewisses Gefühl der Entdeckungslust in den Deep Cuts bestehen, besonders wenn man auf die weirde Psychedelik von Tracks wie "Heavy", "Death" oder "Tired From Being Busy" erst mal anspringt.

"Above And Beyond" ist ein seltsames Tape, das aber ziemlich fesseln kann. Es entpuppt sich eine eigenwillige, undurchsichtige Stimmung, ein überforderter, platter Blues, der sich überraschend natürlich in dieses experimentelle Gefilde des zeitgenössischen Hip Hop schmiegt. Es ist definitiv eines der größten und idiosynkratischsten Statements, dass aus diesen musikalischen Bewegungen neue, emotionale Ideen gezogen werden könnten - und man will nur gespannt sein, wie viel weiter Jackzebra diese Formel noch bringen wird, wenn er dranbleibt. Ich glaube ehrlich, er ist da gerade an etwas dran.

Trackliste

  1. 1. Moaning Without Reason
  2. 2. Five Words Floating In The Sky
  3. 3. Jail
  4. 4. Pull
  5. 5. Too Messy Too Wrong
  6. 6. Everyone Loves You
  7. 7. The Eagle Catches The Chicken
  8. 8. Wind
  9. 9. Winter
  10. 10. Puppet
  11. 11. Rebelling Since Birth
  12. 12. Can't Catch A Breath
  13. 13. Each Other Brilliant
  14. 14. Bar
  15. 15. Admire You
  16. 16. Work Hard From Dawn To Dusk
  17. 17. Pressure And Life
  18. 18. Dog Barking
  19. 19. Black
  20. 20. Devil-Like Minions
  21. 21. Cover Face
  22. 22. Airplane
  23. 23. Right
  24. 24. Young People
  25. 25. Elephant
  26. 26. Heavy
  27. 27. Death
  28. 28. Big Bro
  29. 29. It's Just A Matter Of Tie
  30. 30. Silence Is Better Than Words Here
  31. 31. I Don't Need Your Interruption
  32. 32. Tired From Being Busy
  33. 33. One Person
  34. 34. Walk Until The End

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