laut.de-Kritik
Eine Jazz-Timetravel-Tour der Extraklasse.
Review von Kai ButterweckJahrelang schlug Jamie Cullum Brücken zwischen traditionellem Jazz und neuzeitlichem Pop. Als einer der wenigen Crossover-Künstler, der zwei von Grund auf unterschiedliche Branchen zu vereinen mochte, heimste der Brite sowohl die Lobgesänge von Suite-Trägern als auch Tanzwütigen ein.
Dieser Tage werden im Pop-Lager jedoch so einige Tränen fließen: Auf seinem neuen Album "Interlude" schiebt der Piano-Derwisch sämtliche Hibbel-Anleihen beiseite und widmet sich ausschließlich fingerschnippendem Bar-Jazz der alten Schule. "Ich mache seit ungefähr vier Jahren eine Jazz-Radio-Show bei der BBC. Das macht tierisch Spaß. Diese wöchentlichen Auftritte im Radio waren auch der Hauptgrund, warum ich irgendwann wieder anfing, im Archiv zu wühlen und mich mal wieder dem reinen Jazz zu widmen", erklärte uns Jamie Cullum im Interview.
Mit dem aufgesetzten Versuch, zwischendurch einen auf intellektuellen Nerd zu machen, hat "Interlude" aber nur wenig zu tun. Jamie Cullum hat den Jazz schließlich schon eingesogen, als viele seiner eher Pop-orientierten Anhänger noch den Hort besuchten. So hat der Angetraute von Topmodel Sophie Dahl auch keinerlei Probleme damit, zischende Schlagzeugbesen, quiekende Blasinstrumente und trippelnde Piano-Klänge so in Einklang zu bringen, dass selbst bei Genre-Fremde beschwingt die Füße mitwippen.
Ob klassisch verraucht und mit einem Hauch von Schwarzweiß-Nostalgie umnebelt ("Interlude", "Walkin'", "My One And Only Love"), wahlweise mit erdigem Blues ("Don't You Know") oder energiegeladenem Soul ("Don't Let Me Be Misunderstood") aufgepeppt: Cullums Reise zu den musikalischen Ursprüngen seiner selbst führt nicht über staubige Pfade.
Es müssen keine Spinnennetze beiseite geschoben werden, um dem Londoner auf seiner Wallfahrt zur Quelle zu folgen. Es braucht lediglich ein offenes Ohr für organische Kammer-Klänge fernab von überproduziertem Neuzeit-Gepumpe. Wer ein solches besitzt, wird sich an diesem Album nicht satthören können.
Mit der Unterstützung eines stimmlichen Soul-Riesen wie Gegory Porter ("Don't Let Me Be Misunderstood"), dem begleitenden Organ von Laura Mvula, die gemeinsam mit Jamie Cullum Erinnerungen an Nick Cave und Kylie Minogue weckt ("Good Morning Heartache") sowie einer Vielzahl tiefenentspannter Selfmade-Momente gelingt Jamie Cullum eine durchweg beeindruckende Timetravel-Tour, die so manch einem eingestaubten Altherren-Vertreter des Genres zu denken geben sollte.
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