laut.de-Kritik

Eine Bedienungsanleitung fürs Leben.

Review von

"I wish I was a little bit taller, I wish I was a baller / I wish I had a girl who looked good, I would call her", rappte One-Hit-Wonder Skee-Lo 1995 auf "I Wish". 24 Jahre später schlägt Jamie Cullum in eine ähnliche Kerbe: "I wish I was taller, I wish I was wiser, so can I stand next to you?"

Mit seiner geringen Körpergröße hadere der Künstler schon sein ganzes Leben, verrät der Pressetext. Dass er seit 2010 mit einer größeren Frau verheiratet ist, mache es nicht besser. Mit dem achten Studioalbum "Taller" wolle er diesen und andere schädliche Gedanken nun aber endlich abschütteln.

Herausgekommen ist eine Bedienungsanleitung fürs Leben, die auf zehn Stücken Schmalz und Pomp mit leicht konsumierbaren Emotionen verbindet. Wie wichtig das Schreiben für sein Innenleben ist, betont der Jazz- und Popsänger auf "Endings Are Beginnings": "I write to learn what I'm thinking." Es folgen trotzdem zahnlose Kalendersprüche. "The truth is times are strange", heißt es in "The Age Of Anxiety", doch der 39-Jährige steckt den Kopf nicht in den Sand: "I won't write off mankind."

Jamie Cullum aufgrund der Texte zu hören ist wie Sangria aus Genuss zu trinken: macht man einfach nicht. Die Stärke der Musik liegt in Cullums fähiger Stimme sowie den Arrangements, die sich zwischen verrauchtem Jazz-Club und exklusivem Festball bewegen. "You Can't Hideaway From Love" baut mit einem einsamen Klavierspiel Intimität auf. Für "Drink" fährt Langzeitproduzent Troy Miller die großen Streichergeschütze auf.

Cullum wagt sich dennoch aus seiner musikalischen Komfortzone heraus, ohne sich dabei jedoch komplett neu zu erfinden. "Usher" groovt mit einem Bläsersatz und schwerem Bass, "Life Is Grey" trägt ihn auf einer sphärischen Streicherspur bis ans Liedende und "Mankind" atmet mit Klatsch-Snare und Chor Gospelluft. In letzterem fühlt sich der Brite von den Gastsängern dermaßen angestachelt, dass er mit seiner Kopfstimme an den Grenzen des Möglichen kratzt.

Auch wenn "Taller" für den Massengeschmack produzierte Popmusik ist, scheint Jamie Cullumin seinem Handwerk mehr als nur einen Gelderwerb zu sehen. Er möchte mit ihm als Mensch wachsen. Das ist beim Hören tatsächlich zu spüren. So nimmt man auch in Kauf, dass die Botschaft eines "Drink" vielleicht gut gemeint sein mag, aber dennoch nichtssagend ausfällt. Die Wahrheit ist nicht schwarz oder weiß, sondern irgendwo dazwischen. Is' klar, Jamie.

Trackliste

  1. 1. Taller
  2. 2. Life Is Grey
  3. 3. Mankind
  4. 4. Usher
  5. 5. The Age Of Anxiety
  6. 6. For The Love
  7. 7. Drink
  8. 8. You Can't Hide Away From Love
  9. 9. Monster
  10. 10. Endings Are Beginnings

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Jamie Cullum

Die Zeitungen beschreiben ihn im Jahr 2004 mit Superlativen wie "Robbie Williams des Jazz" oder auch "David Beckham des Jazz". Das Major-Debüt "Twentysomething" …

2 Kommentare

  • Vor 5 Jahren

    "Jamie Cullum aufgrund der Texte zu hören ist wie Sangria aus Genuss zu trinken: macht man einfach nicht."

    Sagt mal, inhaliert ihr Sangria? Anders kommt man ja nicht auf solche Sätze.

  • Vor 5 Jahren

    Sehr geiles neues Album von Jamie. Musiker lieben es.! Schade, dass die Fähigkeit, Songs mit Ohrwurmcharakter zu schreiben immer gleich negativ beurteilt wird. Aber Kritiker müssen ja in erster Linie kritisch schreiben - die Ärmsten ;-)