laut.de-Kritik
Raffiniertes Debüt mit Jay-Z im Inkognito-Modus.
Review von Johannes JimenoSage und schreibe 3.971 Tage, also beinahe elf Jahre, benötigte Jay Electronica von der ersten Single ("Exhibit A") bis zu seinem Debüt-Album. Dazwischen gab es natürlich diverse Features und Mixtapes, aber keinen eigenständigen Longplayer. Das hat sich mit "A Written Testimony" geändert. Ein Album voller Religion und Spiritualität, wie es der Titel bereits suggeriert.
Eine erste Einordnung: Jay Electronica, bürgerlich Timothy Elpadaro Thedford oder, wie er sich selbst nennt, Elpadaro F. Electronica Allah, ist bekennender Muslim und Mitglied der afroamerikanischen, religiös-politischen Bewegung Nation of Islam. Das Cover zieren sein Name und der Titel auf Arabisch, er rappt teilweise in dieser Sprache und begründet sein ganzes Dasein im Glauben an Allah.
Die Anspielungen darauf sind omnipräsent, ohne dass man das Album überhaupt gehört hat: Am 7. Februar setzte Jay Electronica einen Tweet ab, dass "A Written Testimony" in 40 Tagen erscheinen werde. Das Album entstand in 40 Tagen und 40 Nächten. Es ist zirka 40 Minuten lang und beinhaltet zehn Songs. Alles Sinnbilder des Glaubens, dass der Prophet 40 Tage fastete, bevor er mit Gott sprach und die zehn Gebote erhielt.
Auf derselben Welle surft sein langjähriger Wegbegleiter Jay-Z, der ohne schriftliche Erwähnung auf acht Songs vorkommt. Ein Kollabo-Album im Inkognito-Modus, sozusagen. Neben Hova finden sich noch andere namhafte Künstler, die verstohlen zu hören sind: James Blake ("Universal Soldier"), Rihanna ("Flux Capacitor") sowie James Fauntleroy ("Ezekiel's Wheel"). Auf Produzentenseite stehen Jay ebenfalls talentierte Musiker zur Seite, darunter The Alchemist, Swizz Beatz oder No I.D.. Musikalisch offeriert die Platte einen verspielten Mix aus vielen Vintage-Samples, feinem Hip Hop, Soul, Industrial und Psychedelia.
Zurück zum Glauben: "The Overwhelming Event" eröffnet "A Written Testimony" mit einem Ausschnitt einer Rede von Louis Farrakhan, dem Führer der Nation of Islam, dem Jay treu ergeben ist. Laut Louis sind die wahren Kinder von Isreal die Afro-Amerikaner. Jay unterlegt dies mit dramatischen Streichern und Pianoklängen. Auf "Ghost Of Soulja Slim" ertönt Farrakhan erneut, während verträumte Lo-Fi-Samples samt Akkordeon zum Kopfnicken einladen. Die beiden Jays positionieren sich als Propheten des Koran, ziehen allerhand religiöse Analogien und nehmen sogar Marvels "Black Panther" in ihre Gleichungen mit auf. Kleine Randnotiz: Rapper Soulja Slim wuchs wie Electronica in den Magnolia Projects von New Orleans auf.
"The Blinding" führt Travis Scott als Feature auf. Der nimmt dafür aber gerade einmal elf Wörter für den Chorus in den Mund und klingt dabei wie Kanye West anno 2008 im Song "Heartless". Jay und Jay gönnen sich aber abwechselnd die Strophen und parlieren über ihren Status im Hip Hop, über spirituelle Abstammung und Introspektion. Vier Produzenten waren am Beat beteiligt, der in der ersten Strophe mit tiefen Bässen und gewaltigem Rauch ballert, sich in der zweiten Strophe etwas zurücknimmt und in einen kontemporären Trapbeat verwandelt.
"Ezekiel's Wheel" fungiert als Metapher für eine Bibelstelle. In Ezechiel 1:1-3:27 heißt es, genannter Prophet ziehe als göttlicher Krieger mit einem Streitwagen in den Kampf, der von vier Kreaturen gezogen werde. Jede dieser Kreaturen wird als "wheel within a wheel" bezeichnet. Musikalisch das vielleicht schönste Stück des Albums, wenn The-Dream über einem klappernden Chiptune-Beat und einem Sample von Brian Enos "St. Elmo's Fire" einen wunderbaren Refrain zum Besten gibt. Electronica zieht hier Querverweise auf Jay-Zs Errungenschaften, Allah und "Star Wars".
Eine persönliche Geschichte findet sich in "Shiny Suit Theory", einer Single von 2010. Sie erzählt von P. Diddy, der Jay unbedingt unter Vertrag nehmen wollte, doch der Mann aus Louisiana unterschrieb nicht bei Bad Boy Records, sondern bei Jay-Zs Label Roc Nation. Erneut durchzieht eine nostalgische Lo-Fi-Ästhetik den Song mit einem alten Sample von The Ambassadors' "Ain't Got The Love Of One Girl (On My Mind)" aus dem Jahr 1969. Der Titel referiert auf die berüchtigte Shiny Suit Era des US-Rap, als P. Diddy in Musikvideos imposante, glänzende Anzüge trug und damit für den Wohlstand von afro-amerikanischen Künstlern stand.
Den ergreifendsten Moment erschafft Jay mit dem Abschlusssong "A.P.I.D.T.A.", Abkürzung für "All Praise Is Due To Allah". Darin thematisieren Jay-Z und er die Dankbarkeit gegenüber Gott und den Tod nahestehender Personen. Besonders Hova überrascht mit leidvoller und fragiler Stimme, wenn er die Zeilen wiederholt: "I got numbers in my phone that'll never ring again / 'Cause Allah done called them home, so until we sing again / I got texts on my phone that'll never ping again / I screenshot 'em so I got 'em, I don't want this thing to end." Der elegische Beat, der auf "A Hymn" von Khruangbin beruht, macht diesen Schmerz fühlbar. Man glaubt einfach, dass diese beiden Jays jeweils ein schweres Kreuz zu tragen haben.
"A Written Testimony" erscheint als übergroßes Mahnmal für seinen Glauben. Partner in Crime Jay-Z steht ihm tatkräftig zur Seite, und beide verkünden die frohe Botschaft. Mit viel Selbstvertrauen, lyrischer Finesse und eindringlichem Vortrag holen sie jeden Hörer ab, eingehüllt in ein virtuoses Kleid aus anschmiegsamem Vintage. Man lauscht den Zeilen eines religiösen Mannes, der seine Überzeugung energisch, wenngleich unprätentiös darbietet. Er verzichtet auf unnötiges Brimborium, anders als sein christlicher Kollege Kanye West auf "Jesus Is King".
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