laut.de-Kritik
Perfekt programmierte Reise durch die musikalische Welt des Nu-Jazz.
Review von Kai KoppOperation "Schneegans" heißt der Einsatz der britischen Truppen gegen afghanische Al-Kaida-Kämpfer. Während ich mir überlege, welcher hohe Militär sich eigentlich ständig so bescheuerte Namen aus dem Hirn schwitzt, höre ich die neue (und erste!) Jazzanova. Meine Gedanken wechseln schnell von tödlichen Auslandseinsätzen zu den l(i)ebevollen Inlandseinsätzen der sechs Berliner von Jazzanova. Bisher verpflichteten sie sich mit ihrem typischen Mix aus Jazz, Brazil, Latin, House, Drum'n'Bass, und Hip Hop ja ihrem eigenen Nu-Jazz-Genre, in dem der Brazil-Einfluss stark betont wurde. Mit "In Between" legen sie nun ein Album vor, das alle angestammten Fans zumindest überraschen dürfte. "Klar hätten wir jetzt auch eine Brazil-LP machen können, aber das wären eben nicht wir. Wir haben diesen Drang, immer weiterzugehen."
Gut so, denn mit "In Between" beweisen die jeweils drei DJs und Produzenten von Jazzanova eindrucksvoll ihre musikalische Innovationskraft. Wie heißt es so schön im Begleittext: "Wären sie Engländer und würden mehr kiffen, stünde ihr Debut vielleicht als 'This Ain't No Brazilectro' im Regal". Wer also die angestammten locker-flockigen Latin-Tracks erwartet, wird voll enttäuscht werden. Wer allerdings sein Ohr vorurteilsfrei auf die 17 Stücke richtet, erlebt eine perfekt programmierte Reise durch die musikalischen Welten der Nu-Jazz Pioniere. Aus den altbewährten Zutaten zaubern sie wunderbare Hörstücke, die mich zwangsläufig und sehr angenehm an 4 Heros "Earth Pioneers"-EP und die darauf folgende "Two Pages" erinnern. Ähnlich verquerte Songstrukturen und Arrangements beflügeln meine Aufmerksamkeit, und auch nach mehrmaligem Hören habe ich längst noch nicht alle Details erfasst, geschweige denn den Gesamtbogen halbwegs begriffen. Cornelius Tittel, der Begleittextschreiber, bringt es auf den Punkt: "'In Between' ist alles andere als das Album zum Hype. Es wird noch gehört und geliebt werden, wenn der Overkill an Nu-Jazz-Compilations längst auf dem Müllhaufen der Musikgeschichte verstaubt ist."
Die Auswahl der Gäste ist es aber, die der Platte die Krone aufsetzt. Schon beim Opener "L.O.V.E. And You & I" bringt sich der Micatone-Bassist Paul Kleber und David Friedman (Jasper van't Hof, Chet Baker ... ) am Vibraphon ein. Hajime Yoshizawa (DJ Krush) glänzt auf "Hanazono" durch sein einfühlsames Klavierspiel. Den Reigen der Stimmen eröffnet Clara Hill, gefolgt von der Hip-Hopperin Capital A. Auf "Keep Falling" demonstriert Spoken-Words-Göttin Ursula Rucker zusammen mit dem ehemaligen MC900Ft.Jesus-Rapper Hawkeye Phanatic was Atmosphäre bedeutet. K7-Star Vikter Duplaix, Philadelphias Soul-Wunder der Stunde, und die Jazz-Legende Doug Hammond (Charles Mingus, Joe Henderson) ergänzen zusammen mit Desney Bailey den Stimmenreigen und verhelfen dem Album zu einem homogenen Gesamteindruck.
Schade, dass wir Jazzanova mit diesem Geniestreich nicht live erleben dürfen: "Wir sind keine Live-Band. Auch wenn viele Leute das erwarten, wir können das nicht. Wir können doch alle kein Instrument spielen". Vielleicht wäre das ja auch die angemessene Taktik für die Operation "Schneegans" - wir können doch alle keinen Krieg führen. Eventuell würde diese Einsicht in ein ähnlich gutes Ergebnis münden ...
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