laut.de-Kritik
Eine Techno-Lehrstunde vom Meister persönlich.
Review von Daniel StraubGute Produzenten, DJs und Komponisten gibt es nach rund zwanzig Jahren Tanzflächenkultur wie Sand am Meer. Wenn der hagere Mann aus Detroit, dem schon ganz zu Beginn seiner Karriere der Beiname 'The Wizard' verpasst wurde, dennoch lorbeerumrankt in den Himmel aufragt, so sagt dies einiges über sein Schaffen aus.
Ob als stilbildender Produzent, visionärer Labelchef oder fingerfertiger DJ, Jeff Mills strebt stets den Superlativen entgegen. Zeugnis vom beispiellosen Status des 'Zauberers' in der elektronischen Musik legt nun seine neue Mix-CD "Exhibitionist" ab, auf der er seine Vision von Techno in Reinkultur zum Leben erweckt.
Insgesamt 45 mal greift Mills für den "Exhibitionist"-Mix in sein Plattenköfferchen, und gibt sich für seine Verhältnisse ungewohnt zahm und groovy. Das war nicht immer so. Rückblende: Sonne Mond Sterne-Festival 2000 im thüringischen Saalburg. Mit etwas Verspätung tritt Jeff Mills gegen drei Uhr morgens an die Turntables. Meine Warnung, dass nun harte Kost angesagt sei, schlägt Kollege Schuh, ein Freund gepflegter Elektroklänge, bei den ersten Takten von "Knights Of The Jaguar" noch in den Wind. Zehn Minuten später ist das Warm-Up zu Ende und Mills in seinem Element angekommen. Im Minutenrhythmus landen neue Tunes auf den Turntables und hämmern das Publikum beinahe in den Boden. Höchste Zeit für Kollege Schuh, begleitet von einem Grinsen meinerseits, alle Tanzversuche einzustellen und die Ohrstöpsel tiefer in den Gehörgang zu drücken.
Technisch knüpft Jeff Mills mit "Exhibitionist" nadlos an seine bekannten Qualitäten an. 45 Tracks in genau 70 Minuten mixt er an drei Turntables, und stellt damit auch notorische Flickfinger wie Ben Sims, Samuel L. Session, Derrick May oder Adam Beyer in den Schatten. Wie kein zweiter versteht es Mills, seine Sets immer auch zu einem optischen Erlebnis zu machen. Nur zu gerne schaut man 'The Wizard' staunend auf die schnellen Finger. Vielleicht begleitet deshalb eine gleichnamige DVD mit drei DJ-Sets das CD-Release von "Exhibitionist". Weit mehr Eindruck als die bloßen technischen Skills von Jeff Mills hinterlässt jedoch seine feinfühlige Art, aus dem Rohmaterial, den Tracks, etwas im positiven Sinne unerhört Neues zu erschaffen. Da kann es nur heißen: Augen schließen und genießen.
Denn jetzt tritt Jeff Mills die begnadete Künstlerpersönlichkeit in das Licht der Scheinwerfer. Kaum ist die erste Platte aufgelegt, packt der Groove zu und lässt einen bis zum letzten Ton von "Exhibitionist" nicht mehr los. Schnell beginnen die einzelnen Stücke miteinander zu flirten, schieben sich innig Schicht für Schicht übereinander, gehen kurz getrennte Wege und finden sich doch wieder. Der isolierte Track verkommt zur Nebensache und stellt sich ohne wenn und aber in den Dienst des Mixes.
Der gibt sich energetisch und leicht zugleich, ist in Detroit zu Hause und kennt doch die ganze Welt. So nimmt er die Zuhörer mit Tribal- und Latintechno-Rhythmen aus den Studios von Oliver Ho, Monika Kruse, Samuel Session oder Mark Williams für sich ein. Gibt zwischendurch mit Klassikern wie Mills Hymne "The Bells" und präzise gesetzten Breaks ordentlich Gas, bevor er schließlich mit DJ Rolandos neuem Track "Aquila" zum Abflug einlädt.
Dass Jeff Mills sich gegen Ende einmal leicht vermixt, macht sein Mixkunstwerk erst im eigentlichen Sinne perfekt weil menschlich, und trübt das Hörerlebnis nicht im mindesten. Alles ist hier live, alles trägt die spontane Handschrift des Meisters, der es nicht nötig hat, seinen Mix im Studio zu glätten, wie viele seiner Kollegen.
Wie kein zweiter Techno DJ versteht Jeff Mills es, seine visionären Ideen mit dem Hauch des entspannten Genusses zu umwehen. Über die gesamten 70 Minuten seines Sets bewahrt er eine tänzelnde Leichtfüßigkeit, die beinahe schon beängstigende Züge annimmt. In der Verbindung von intellektuellem Anspruch mit sinnlichem Genuss gleichen sich ein Bild von Michelangelo und ein Mix von Jeff Mills wie ein Ei dem anderen. Große Kunst, die Spaß macht.
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