laut.de-Kritik
Playlist-Musik für eine verlorene Jugend.
Review von Rinko HeidrichJim Legxacy ist im Schmerz aufgewachsen und musste schon früh in seinem Leben die dunklen Seiten des Seins kennenlernen: Der Bruder musste wegen Psychosen in Behandlung, seine Schwester verstarb an einer schweren Blutkrankheit. Es war ein Aufwachsen zwischen privatem Struggle und der Erkenntnis, dass man nicht in die Mehrheitsgesellschaft passt.
Es liegt also vieles an Trauma-Verarbeitung auf den Schultern des gerade mal 25-Jährigen, der auf seiner dritten EP "Black British Music", in melancholischen Grundton von der Zeit zwischen Traurigkeit und Armut berichtet. "I slept on the floor and got dirt in my jeans", fasst das Drama in einem Satz einprägsam zusammen. Legxacy hat sicherlich das Glück das spätestens seit Drakes meisterhaften "Take Care"-Album eine Verletzlichkeit im Hip Hop stattfinden darf. Traurige Schlafzimmer-Produktionen von Einzelgängern sind schon seit einiger Zeit das große Thema in der britischen Musik. Daves introspektive Alben oder der Diary-Dubstep von "Fred Again.." spiegeln perfekt die Gefühlslage einer Generation wider, die das Innere sucht und zunehmend in lakonisch erstarrt.
Auch Jim Legxacy ist ein Mittzwanziger, der in der Gegenwart irgendwie anwesend erscheint, aber doch lieber zuhause grübelt und eigentlich schon zu früh sein bisheriges Leben Revue passieren lässt. Seine Songs tragen Titel wie "Rooney’06", ohne jegliche Referenz zum Fußballerspieler und seiner Prime in den Nullerjahren. Es reicht tatsächlich der Name und eine Zahl, dass jede*r sofort an seine kleine Bude und dem gemeinsamen Zocken mit Freunden vor dem Fernseher denken muss. Ein gedanklicher Rückzugsort in schweren Zeiten.
Im Falle von "Black British Music" funktioniert aber schon der Nostalgie-Eskapismus nicht, wenn er über ein System berichtet, dass später die Kinder in Verlierer und Gewinner separiert. "I'm unemployed, they hold me down by my feet/My n*gga went jail, I caught a uni degree". Es sind nur Nuancen im harten Umfeld in South East London, denen man entfliehen kann, aber viele den Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft verlieren. Etwas erinnert der Song mit den Indie-Rock-Einschlag auch an Bloc Partys "I Still Remember", ebenfalls ein bittersüßer Rückblick auf die Kindheit, wenn auch aus deutlich privilegierter Sicht und weniger belastet."They Play Our War Cries In The Club" fasst das Legxacy schon wieder in nur einem Satz das merkwürdige Gefühl zusammen, dass das Leben in seinem Viertel für privilegierte Club-Besucher vielleicht einen angenehmen Grusel besitzt, aber es hier um reale Tragödien geht.
Wie auch John Glacier, ebenfalls ein Gewächs aus der spannenden UK-Rap-Szene, erschafft Legxacy einen elektrisch-melancholischen Sound, in dem ehemals gegensätzliche Genres wie Post-Punk und Afrotrap zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen finden. Überhaupt scheint "Genre" eher ein Begriff für ältere Generationen zu sein, während junge Menschen unabhängig von Kategorien lieber einer Stimmung folgen.
Die verläuft auch in "Black British Music" durchgehend unterhalb von Glücklichkeit, aber doch tanzbar. "I Just Banged Snus in Canadian Water" und der tolle Standout-Track "Father" klingen gleichzeitig nach tiefem Weltschmerz, aber die heftigen Bounce Beats wirken der Bitterkeit entgegen. Club-Musik für eine verlorene Generation, die eigentlich gar nicht mehr in den Club möchte. Genauso wurde "Fred Again.." in den letzten Jahren zum Superstar und Festival-Headliner. "Big Time Forward" möchte ebenfalls diese Musik für Kids sein, die an der Seite stehen, die gleichzeitig zu wenig und dann wieder zu viel fühlen.
"Black British Music" kommt dabei ohne weithegend ohne UK Drill oder Grime-Klänge aus. Dieser dunkle Sounds passt sonst so gut in vergessene Brennpunkte in der Londoner South East Area. Legxaycs Krieg findet im Inneren statt, zerrissen zwischen nachdenklichen Pop-Folk-Songs wie "Issues Of Trust" und Awareness in "SOS". Nicht Rache und Zerstörung seiner Gegner bilden das Leitmotiv, Legxacy strebt für sich und andere einen Heilungsprozess an und definiert das Männlichkeitsbild im UK Rap neu. Die Wut aus seinen früheren, rougheren Mixtapes geht über in eine erwachsenere, nachdenklichere Version.
"Black British Music" gleicht einem Rundgang durch das Archiv der letzten zwanzig Jahre britischer Hip Hop-Musik, aber mündet auch ein etwas inkohärentes und sprunghaftes Endresultat. Es ist das Werk eines Hochbegabten im Zeitalter der Streaming-Playlists. Es gibt keine Grenzen, auf die Playlist kommt was gefällt. Das ist natürlich großartig, aber "Black British Music" zerfasert in seiner Stilvielfalt zwischen Afrotrap, Dubstep, britischem Folk-Pop,Grime und auch Pop-Punk-Elementen.
Ein tiefe Radio-DJ-Stimme führt als Begleitung durch das Album und wirkt als Bindeglied zwischen den Songs, deren Stimmung immerhin durchgehend im Bereich zwischen betrübter Isolation und pragmatischem Überlebenskampf pendelt. Es schlagen nicht nur zwei, sondern mehr als vier Herzen in seiner Brust. Wer die Oberhand gewinnt, bleibt abzuwarten.
1 Kommentar
Klingt spannend, werde lauschen.