laut.de-Kritik
So rätselhafter wie spannender Underground-Rap.
Review von Rinko HeidrichUnderground, das war mal wie Indie ein durchaus respektabler Begriff in der analogen Welt. Kein Sellout und zur Not auch erst einmal über Jahre hinweg etwas aufbauen, bevor der Mainstream die Künstler*innen vereinnahmte. Die Muße dazu hat man heute kaum noch, die Künstlerin John Glacier nahm sich trotzdem alle Zeit, um ihre Debütalben komplett nach ihren Vorstellungen zu veröffentlichen. Ein bisschen blöde für Musikjournos, die schon vor drei Jahren das nächste große Ding aus der britischen Musikszene ankündigten und die Glacier mit "Shiloh: Lost For Words" abspeiste. Ein buntes, aber noch ungestümes EP-Potpourri an Ideen, zusammen mit Vegyn ausgedacht, dem ein roter Faden fehlte.
"Like A Ribbon" möchte John Glacier als das wirkliche Debüt-Album verstanden wissen. Ihre Stimme ist nun ruhiger, konzentrierter und auch introvertierter. In "Don't Cover Me" schimmert fast eine gewisse Apathie durch, insgesamt klingt "Like A Ribbon" beim ersten Höreindruck so, als ob die Künstlerin der Welt skeptisch und abweisend gegenüber steht.
Der Künstlername 'Glacier' kommt nicht von ungefähr, wie sie einem Interview-Magazin offenbarte. Dort verglich sie ihre Kunst mit einem Gletscher, der erst beim Auftauen die Information unter seiner Schicht preisgibt. So etwas kommt in UK derzeit gut an, wo Evian Christ eine Art Trance-Revival startet und dem introvertierten "Fred Again.." der Widerspruch gelingt, einen zurück gezogenen Dubstep-Sound für ein Festival-Publikum zu entwerfen.
Genau wie bei dem Superstar des britischen Drum'n'Bass bekommt man das Gefühl, ein vertontes Tagebuch zu hören. Eine düstere Welt, die Glacier in ihrer Lyrik aufbaut, in "Money Shows" nur von einem repetitives Post-Punk-Riff begleitet. Der schockgefrorene Track, der klingt, als ob man ihn aus einem Eisberg heraus brach, geht zu einem Teil auch auf das Konto von Eartheater. Eine Künstlerin, die ebenfalls irgendwo im Schatten der Musikindustrie, expressionistische Sounds entwirft. Die beiden Außenseiter - so scheint es - scheuen das Licht der Öffentlichkeit und operieren lieber in dunklen Internet-Archiven. Glacier bastelt in ihrer Untergrund-Höhle gerne an vergessenen Sounds herum und haucht ihnen ein neues Leben ein.
"Emotions" weckt Erinnerungen an den Anfang der Zehner-Jahre, als Salem und Clams Casino ebenfalls aus den Resten der Nullerjahre einen düsteren Sound für das Nachtpublikum entwarfen. "Witchhouse", so nannte man diese eigentümlichen Mutanten aus wuchtigen Rap-Beats und geisterhaften Synth-Sounds. Immer als obskures Mikro-Genre verschrien, geistert diese Ästhetik bis heute durch die Hip Hop-Produktionen von Travis Scott oder Danny Brown.
Das deutsche Zeitgeist-Magazin Rolling Stone ätzte bereits über "den emotionslosen Hipster-Rap aus Hackney". Was auch immer "Hipster" bei den erzkonservativen Gralshütern des gediegenen Songwriter-Thums bedeutet, aber dieser Preset-Sound hat seine Wurzeln in der ebenfalls nicht greifbaren Welt des Soundcloud-Raps. Ein wie Witchhouse diffuser Begriff, irgendwann in den Zehner-Jahren entstanden, über DIY-Künstler, die dank bezahlbarer (oder auch illegaler runtergeladener) Software in ihrem Schlafzimmer an ihren Sound-Ideen rumtüfteln.
So ähnlich wie man in den Achtziger Punk-Tapes herumreichte, findet man in den Massen an Content sagenhaft viel Mist, bildet aber auch "Like A Ribbon" ein bewusst minimalistisch Grundgerüst. John Glacier und Kwes Darko, der sonst eher krachigen Punk-Rap mit seinem Buddie Slowthai produziert, durchforsten hier die Hinterhöfe des Internets und werten ihre Sound-Fundstücke noch einmal mit etwas mehr Produktions-Knowledge und Glaciers Spoken-Word-Sprachkunst auf. Ihre assoziativen Sprachfetzen vermitteln selber den Eindruck, als ob sie ungefiltert Emotionen und kein Storytelling vermitteln.
Die gibt es nicht nur in London, wie ihre Zusammenarbeit mit dem Hip Hop-Kollektiv Surfgang zeigt. Ein ungewöhnlich warmer Sound, der aus der Kollaboration zwischen dem amerikanischen Indie-Rap aus New York und Londoner Melancholie entsteht. Wer nun von beiden die größere Zukunft hat, bleibt vage. Der verwaschene Sound der New Yorker, die trotz Interviews mit Vice und dem (sic!) amerikanischen Rolling Stone-Magazin lieber künstlerische Freiheit bevorzugen und keinen ambitionierten Plan für die Zukunft verfolgen, gilt schon länger als das neue Ding im US-Rap.
So richtig weiß man auch noch nicht, was hier auf "Like A Ribbon" vor sich geht. Bedroom-Rap? No-Future-Soul? Cloud-Post-Punk? Witchhop? Genau diese Uneindeutigkeit macht dieses nicht einfache Album abseits von Mainstream-Regeln und rätselhaft, so spannend.
1 Kommentar
Endlich mal durchgehört. Gefällt, mit sowas kriegt man mich fast immer.