laut.de-Kritik

Schockfrost-Behandlung für Yoga-Kurs und Balearen-Hippies.

Review von

Den Namen Evian Christ kennen bisher nur eingefleischte Musikfans, doch die Namen seiner Kollaborationen und Auftraggeber lassen aufhorchen: Kanye West holte ihn für sein visionäres Album "Yeezus" mit an Bord, Travis Scott für "Birds In The Trap Singing McKnight". Ähnlich wie noch vor Jahren Arca war Christ bisher lieber der Tüftler im Hintergrund.

Nach Jahren in der zweiten Reihe erscheint nun das Debütalbum auf dem Außenseiter-Label Warp. Mit einem Sound, der seine Wurzeln im einem mehr als umstrittenen Genre hat. Es kann wirklich kein cooles 90ies-Kid behaupten, dass Trance einen besonders hohen Stellenwert hatte. Die kommerzielle Hintergrundbeschallung für Nachtcafes, das leicht zugängliche Esoterik-Gedudel für eher anspruchslose Techno-Fan, bei denen Kitsch-Poster mit Delfinen an der Wand hingen. Die Faszination bei Evian entsteht durch die Dekonstruktion und Reibung mit dem gefälligen Subgenre.

Auf Industrial-Attacken wie in "On Embers" folgt plötzlich ein Moment der absoluten Stille. So etwas verwirrt und fordert, weil nun nicht klar erscheint, ob der Song nun plötzlich schon endet oder langsam ausfadet. Die plötzliche Rückkehr der harten Breakcore-Beats intensiviert den Schreck-Moment noch einmal deutlich. "Nobody Else" wiederholt dieses Spiel mit den harten Kontrasten. Fast schon Armin Van Burren-mäßige Trance-Flächen bekommen eine Schockfrost-Behandlung, die mal gar nicht nach Ibiza klingen und viel mehr in eine eiskalte Lagerhalle in Nordengland passen.

Nein, das hat überhaupt nichts mit Balearen-Hippietum, Yoga-Kurs oder Reiche Touristen-Experience in Goa zu tun. Ganz und gar beunruhigend klingt das, denn "Revanchrist" bildet perfekte die Gemütslage zwischen Entfremdung und der fast manischen Suche nach etwas Seelenfrieden in der gefühlten Apokalypse an. Und das ist höchstinteressant, den ausgerechnet so eine prätentiöse Kommerz-Musik, diese wirklich unangenehm niedrigschwellige Dudelmusik, kann nun ohne Armin Van Burren oder Tiesto endlich atmen. Und natürlich muss man auch Trance seine Momente zugestehen. Diese weite Melancholie in Chicanes "Saltwater", der hypnotische Regenfahrt in Robert Miles "Children" oder diesen Moment der Einkehr in "God Is A DJ" von Faithless.

Deren Mainstream-Appeal nimmt Christ nicht auf. Trance wird hier solange runter gefahren, bis es in "Silence" schon nahezu komplett bei der Neo-Klassik von Ludwig Görranson und seinem Score von Oppenheimer ankommt. Was eigentlich sehr gut zur Herangehensweise der beiden Produzenten passt. In einem höchstkonrtierten Prozess spalten sie ein Genre in seine kleinsten Fragemnte auf und erschaffen einen neuen Prozess. Leider erfolgt daraus aus musikalischer Sicht kein Weltenbrand. "Revanchrist" bleibt ein interessanter Entwurf aus einem eigenen Mikrokosmos.

Trackliste

  1. 1. On Embers
  2. 2. Yxguden (ft. Bladee)
  3. 3. The Beach
  4. 4. Nobody Else
  5. 5. Silence
  6. 6. Xkyrgios
  7. 7. With Me (ft. Merely)
  8. 8. Run Boys Run

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