laut.de-Kritik
Eine musikalische Raserei zwischen Fusion und Spaltung.
Review von Dominik LippeChristopher Nolan ist ein verkopfter Regisseur. In seinen Filmen setzt er naturwissenschaftliche Schwerpunkte, spielt mit dem Faktor Zeit und arbeitet die politischen Implikationen heraus. In "Oppenheimer" widmet er sich der Lebensgeschichte des 'Vaters der Atombombe'. Dessen Hintergrund in der Physik, das Manhattan-Projekt sowie die politischen Ränkespiele der Nachkriegszeit bilden die drei Handlungsstränge. Mit seiner Ernsthaftigkeit bildet der britische Regisseur dabei einen angemessenen Kontrast zu den salopp vorgetragenen atomaren Drohungen Putins und Medwedews dieser Tage.
Nach "Tenet" engagierte Nolan erneut Ludwig Göransson für den Soundtrack. "Ich hatte noch nie zuvor ein solches Drehbuch gelesen, das dich direkt in den Verstand von Oppenheimer versetzt", erzählte der schwedische Komponist gegenüber Variety, "Du siehst die Welt durch seine Augen. Oppenheimer ist ein Genie, aber er verbirgt auch Dämonen." In den drei Monaten vor Drehbeginn traf er sich wöchentlich mit dem Regisseur, um die Entwicklung des Scores zu besprechen. Als der Rohschnitt fertiggestellt war, passte er seine Ideen an und nahm die Musik mit einem Orchester in Burbank auf.
Explizit verzichtet habe er auf Drums, um jeden militärischen Charakter zu vermeiden. Mit diesem hatte etwa der Japaner Akira Ifukube mit seinem Soundtrack zum nuklearen Trauma in "Godzilla" gespielt. Stattdessen sei Christopher Nolan und ihm früh klar gewesen, dass die Violine das Fundament des Scores bilden sollte. "Innerhalb einer Sekunde können sie von etwas Schönem zu etwas absolut Schrecklichem werden", charakterisierte der Komponist die Wirkung bei Classic FM. Der Klang passe "sehr gut zum überaus starken Intellekt und den Emotionen von Oppenheimer".
Christopher Nolan stellt frühzeitig einen Zusammenhang zwischen Musik und Mathematik her. "Lernen Sie theoretisch zu denken", erklärt der von Kenneth Branagh gespielte Physiker Niels Bohr dem Nachwuchstalent, "Algebra ist vergleichbar mit einer Partitur. Die Frage ist nicht, können Sie Noten lesen, sondern können Sie sie hören?" Danach setzt die filigrane Kettenreaktion von "Can You Hear The Music" ein, das Oppenheimer beim Studium zeigt. Es vollzieht sich ein Auf und Ab des Gedankenprozesses, zusammengeschnitten mit Bildern von Funken, Sternen und Elementarteilen.
"Can You Hear The Music" bringt mit seinen 21 Tempowechseln, das Entstehen und Vergehen, Fusion und Fission auf den Punkt. Ludwig Göransson hielt seine Komposition für "unspielbar" und wollte sie deswegen Takt für Takt aufnehmen. Seine Frau Serena McKinney animierte ihn dazu, es mit dem Live-Orchester zu versuchen. Nach drei Tagen stand die Aufnahme. "Am Ende haben wir Musik aufgenommen, die das übertraf, was ich für menschlich möglich gehalten hatte", erzählte der Schwede dem Rolling Stone, "Die verblüffenden Bilder rotierender Atome versetzten vierzig Geigen in atemberaubende Raserei."
"Quantum Mechanics" schließt stilistisch daran an. Schwingende Streicher begleiten seinen Unterricht, die Fusionsprozesse der Sterne und ihren Untergang. Der gewittrige, zu einem Grollen absteigende Sound von "Gravity Swallows Light" deutet die düstere Kehrseite seiner Arbeit voraus. Dennoch tänzelt der Film am Geniekult entlang. Einzig der traditionell etwas unkultiviert gezeichnete militärische Vertreter "Groves" arbeitet Oppenheimers Charakter als "instabil, theatralisch, egoistisch, neurotisch" heraus, um ihn nach der Begutachtung dennoch für das Manhattan-Projekt zu verpflichten.
Rauschhaft startet der "American Prometheus" das "Manhattan Project". Göransson setzt zunehmend auf einen klickenden Countdown-Rhythmus, der den Wettlauf gegen die Nuklearwaffenprogramme anderer Staaten und damit die Zeit als eines von Nolans Hauptthemen einfängt. Zielorientiert schreitet "Los Alamos" voran. Kurze Zweifel regt sich lediglich im unheilvollen "Atmospheric Ignition", als Oppenheimer mit Albert Einstein die Möglichkeit bespricht, dass sich die in Gang gebrachte Spaltungskettenreaktion ungebremst fortsetzen und dabei die Atmosphäre in Brand stecken könnte.
Je weiter die Entwicklung der Bombe voranschreitet, desto eindringlicher spielt das Orchester. Schneidende Streicher und Zimmer'eskes Dröhnen von "Fusion" haben etwas Monströses an sich. Elektrische Spannung liegt über "Ground Zero", nachdem die Entscheidung für den Trinity-Test in New Mexico gefallen ist. Der Puls beschleunigt sich, ein metallisches Klicken nährt die Nervosität. Fiebrig toben die Geigen durch "Trinity" - um schließlich abrupt zu verstummen. Christopher Nolan hüllt die eindrucksvoll inszenierte Entfesselung der Sprengkraft demonstrativ in Stille.
Der Triumph währt nur kurz. Nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki wachsen Oppenheimers Schuldgefühle, die im kleinlauten "What We Have Done" zur Geltung kommen. Seine Hoffnung, mit der Entwicklung alle künftigen Kriege zu beenden, zerschlagen sich, als US-Präsident Harry S. Truman 1950 anweist, "die Arbeit an allen Arten von atomaren Waffen fortzusetzen". Der Physiker setzt sich gegen das nukleare Wettrüsten ein und wird dafür in der repressiven McCarthy-Ära von Politikern wie Lewis Strauss als möglicher Kollaborateur der Sowjetunion diffamiert.
"Wir müssen den Politikern klarmachen, dass dies keine neue Waffe ist - es ist eine neue Welt", erklärt Niels Bohr auf der Hälfte des Films seinem Kollegen. Erst am Ende hat Oppenheimer die Warnung verinnerlicht. "Wir dachten, dass wir eine Kettenreaktion auslösen könnten, die die ganze Welt vernichtet", erinnert er sich in seinen abschließenden Worten gegenüber Einstein, "Ich glaube, wir haben es getan." Der Sound des "Destroyer Of Worlds" nimmt dazu Fahrt auf, schwillt immer weiter an, reißt alles mit sich und liefert somit einen Ausblick in die Zukunft - bis zur finalen Note.
1 Kommentar
Ich bin der OPheini. I am become Depp.