laut.de-Kritik
Wodka mit Ginger Ale und eine neun Meilen lange Zigarette.
Review von Giuliano BenassiDas Porträt auf dem Cover zeugt von einem gelebten Leben und führt dennoch in die Irre. Seit jeher ist der Singer/Songwriter aus Chicago für sein Augenzwinkern und seinen Blick für Details bekannt. So auch auf diesem Album, seinem ersten mit neuen Stücken seit 2005.
Mit vier Gitarren und einem Stapel Notizbücher checkte John Prine im Hotel Omni in Nashville ein. "Wer mich erkannt hat, musste wohl denken, dass ich mich von meiner Frau getrennt habe", witzelt er in der Pressemitteilung. Der Grund war jedoch, dass er seine Ruhe haben wollte: "Meine Frau weiß, dass ich nach all den Jahren on the road in einem Hotel besser funktioniere. Ich bestellte Essen aufs Zimmer, arbeitete und schaute Quiz-Sendungen. Ganz ohne Druck. So konnte ich um drei Uhr morgens schreiben, oder um drei Uhr nachmittags. Nach einer Woche war ich soweit, dass ich ins Studio gehen konnte."
Dort warteten der treue Begleiter Pat McLaughlin (Gitarrist und Co-Autor bei vielen Liedern) sowie Produzent Dave Cobb, um die Texte umzusetzen. Das Ergebnis ist Nashville-typisch Country-lastig, verzichtet jedoch auf ebenso typische kommerzielle Auswüchse. Wie schon das Coveralbum "For Better, Or Worse" von 2016 zeichnen es eher zurückhaltende Arrangements aus. Dafür lässt Prine seine mittlerweile recht dünne Stimme nonchalant von Kolleginnen begleiten.
Die erste ist Brandi Carlile, die im fröhlichen "I Have Met My Love Today" mit ihm die ewig haltende Liebe auf den ersten Blick beschwört. Gemeinsam singen sie außerdem "Boundless Love", wobei das Stück über grenzenlose Liebe mit bemerkenswerten Zeilen beginnt: "I woke up this morning / To a garbage truck / Looks like this old horseshoe's / Done run outta luck."
Zu hören sind auch Amanda Shires und Jason Isbell. Der Blick ins Booklet offenbart weitere bemerkenswerte Zusammenarbeiten, etwa mit dem in Ungnade gefallenen Produzenten Phil Spector, auch wenn "God Only Knows" bereits in den 1970er Jahren entstand, oder Dan Auerbach von den Black Keys, mit dem er "Caravan Of Fools" schrieb. Letzteres ist das einzige Stück mit einem solch ernsthaften Ton, dass es an Johnny Cash zu American Recordings-Zeiten erinnert.
Doch mit den Eseln, die uns anführen, beschäftigt sich Prine zum Glück nicht weiter. Lieber mit Wodka und Ginger Ale sowie einer neun Meilen langen Zigarette. Wo er die genießen kann, nachdem er zwei unterschiedliche Krebsarten besiegt hat und seinen Lastern nicht mehr frönen darf? Im letzten Stück, beziehungsweise im Jenseits. In "When I Get To Heaven" offenbart Prine noch weitere große Pläne:
I'm gonna open up a nightclub
Called 'The Tree of Forgiveness'
And forgive everbody
Ever done me any harm
I might invite a few choice critics
Those syphilitic parasitics
Buy 'em a pint of Smithwicks
And smother them with my charm.
Angesichts einer solchen Platte lässt man sich gerne einen "Parasiten mit Syphilis" schimpfen (eine Formulierung, für die ihn Bob Dylan noch mehr lieben dürfte als ohnehin schon), und wünscht ihm, dass es bis dahin noch eine Weile dauert. Zumal Prine noch lange nicht fertig hat, zieht er mit dem Album und seinen vielen guten alten Stücken 2018 doch mal wieder kreuz und quer durch die USA. Im August kommt er für ein paar Auftritte sogar nach Europa, leider aber nicht in den deutschsprachigen Raum.
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