laut.de-Kritik

Who Put The M In Manchester? Marr.

Review von

Johnny Marr ist ein britischer Gentleman, ein Sunnyboy und ein Gitarrengott. Außerdem noch Nichtraucher, Nichttrinker, Langstreckenläufer und Veganer. Er tritt Journalisten also in bester Verfassung gegenüber, wenn diese ihn 30 Jahre nach der Smiths-Trennung unnachgiebig nach einer Reunion fragen. Manchmal soll Marr bei der Beantwortung der Frage sogar lachen, heißt es.

Man freut sich sowieso immer über Interviews mit ihm, weil man weiß, dass hier nichts Bedrohliches oder gar Verleumderisches kommt, einfach weil sich Marr des neurolinguistischen Kniffes bedient, vor dem Sprechen seine linke Gehirnhälfte miteinzubeziehen. Diese Gabe ist seinem früheren Kollegen Morrissey bekanntlich seit einer Weile abhanden gekommen, was die Smiths-Frage ohnehin redundant macht. Wer jedoch auf Gossip wie die letzte Begegnung der beiden Indie-Rock-Heroen in einem Pub in Manchester steht, greife zu Marrs (auch sonst) empfehlenswerter 2017er Autobiographie "Set The Boy Free".

Dass seine dritte Soloscheibe "Call The Comet" wieder ein rundes Indie-Pop-Album werden würde, war dagegen nicht vorhersehbar, denn Marrs kreative Formkurve zeigte zuletzt auf "Playland" bedenklich nach unten. Nur eineinhalb Jahre nach dem formidablen Einstand mit "The Messenger" erschienen, wirkte der Gitarrist plötzlich seltsam versteinert, wovon schon das Albumcover kündete.

Was in den darauf folgenden knapp vier Jahren vor allem in der politischen Welt geschah, ging nicht spurlos an ihm vorbei. So beginnt "Call The Comet" mit den anklagenden Worten des Songs "Rise": "Now here they come / it's the dawn of the dogs / They hound they howl / never let up / the fear is on (...) destiny is rising". Marr weist lyrische Bezüge zu Trump und Brexit von sich, gibt aber zu, dass ihn einige Entwicklungen, etwa die steigende Popularität rechtsnationaler Weltanschauungen, sehr beunruhigen. Dass er deshalb keine Preacherpose einnimmt, war abzusehen: "Es ist eher meine emotionale Antwort darauf. Musik kann auch eine Flucht darstellen und eine Trotzhaltung."

Diese spiegelt sich sehr schön in den giftigen Riffs des für seine Verhältnisse breitbeinigen Openers wieder. Dort entwirft Marr die Zukunftsutopie einer alternativen Gesellschaft, die sich um Menschlichkeit und Miteinander bemüht. Irgendwo zwischen den Cribs, U2 und Charlatans ist Marr dabei ein kantiger Rocker gelungen, der ihm gut zu Gesicht steht.

Der Vorabtrack "The Tracers" mit himmelsstürmenden Woo-hoo-Chören und federnden Keyboard-Lines erinnert dann wieder daran, dass Marr häufig Probleme hat, eine gute Strophe mit einem nachfolgenden Refrain noch zu toppen. Weswegen er ihn hier gleich ganz weglässt. In "Hey Angel" spielt er eines der längsten Gitarrensoli seiner Karriere, bevor "Hi Hello" dem Gros seiner Fans dann noch einmal vor Augen führt, dass es da dieses eine Licht gibt, das niemals erlischt. Eine der ganz großen Album-Hymen, zusammen mit dem großartigen "Day In Day Out".

Das sechsminütige "Walk Into The Sea", auf dem ihn Tochter Sonny begleitet, beginnt als Ballade, entwickelt sich dann zu einem vibrierenden Mantra, bevor Marr in "Bug" sein bisher gut verborgenes Funk-Pop-Können ausspielt. Melodien-Maniacs - und welcher Marr-Anhänger ist das nicht - sollten bis zum Ende durchhalten. In "Spiral Cities" erklingt wieder seine alte 80s-Indie-Rickenbacker, "My Eternal" ist das Uptempo-Geschwisterchen von "Easy Money", während "A Different Gun", geschrieben nach den Terrorattacken in Nizza und Manchester, eine lange nicht gehörte Intensität ausstrahlt.

Mit dieser Platte unterstreicht Johnny Marr endlich wieder seinen Ausnahmestatus, selbst als unbekanntester Gitarrist der Champions League. Und seine Antwort auf die ewige Smiths-Frage? So cool wie vielsagend: "Ich bin sehr glücklich, dass man mich überhaupt für etwas kennt."

Trackliste

  1. 1. Rise
  2. 2. The Tracers
  3. 3. Hey Angel
  4. 4. Hi Hello
  5. 5. New Dominion
  6. 6. Day In Day Out
  7. 7. Walk Into The Sea
  8. 8. Bug
  9. 9. Actor Attractor
  10. 10. Spiral Cities
  11. 11. My Eternal
  12. 12. A Different Gun

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1 Kommentar

  • Vor 6 Jahren

    So hätte das letzte Arctic Monkeys klingen sollen, dann hätte ich es mir gefallen lassen. Das hier passt genau zwischen die beiden Oasis Brüder, wobei Noel die Nase vorne hat. Kaufbar bzw. Playliste schon angelegt. Danke für das Review.

    Gruß Speedi