laut.de-Kritik
Tangerine Dream auf Tauchstation.
Review von Fabian BroicherJulia Holter erlebte während der Pandemie fließende Übergänge zwischen Glück und Trauer. Davon zeugt "Something In The Room She Moves", denn das Album ist ihrer ersten Tochter und ihrem jung verstorbenen Neffen gewidmet. So erlebte sie die vergangenen Jahre ihres Lebens als eine "konstante Fragmentierung des Gemütszustands", häuslicher geworden durch ihre Mutterrolle und die Lockdowns. Diese Fragmentierung hört man auch dem sechsten Studioalbum an.
Dem Dream-Pop von "Have You In My Wilderness" war 2015 noch das Kunststück gelungen, sperrige Avantgarde mit Eingängigkeit zu vereinen. Der Nachfolger "Aviary" stieß mit radikalen Ideen und fast 90 Minuten Laufzeit einige Hörer*innen vor den Kopf. Zu weit weg von Songstrukturen war es, zu nahe an verkopfter moderner Klassik. War das noch Kunst oder konnte das weg?
Auf "Something In The Room She Moves" sind Holters Kompositionen wieder etwas zugänglicher, obwohl sie immer noch weitläufige Klangräume durchschreiten. Aber jetzt ist in ihnen mehr Platz, Holter hat die instrumentale Einrichtung etwas ausgemistet und umgeräumt. Fragmentierte Elektro-Drums stolpern durch "Sun Girl", darüber legen sich verhallte Synth-Flächen und eine jazzig tirilierende Flöte. Dann ändert sich die Stimmung, das Tempo verlangsamt sich, als hätte das Mädchen aus dem Titel einen Sonnenstich. Die Musik zerfasert zur Stille, aus der das spärliche Arrangement nochmal aufersteht. "Spinning" lebt von einem bundlosen Bass, der an Kate Bush in den Achtzigern erinnert, die Percussion schlägt dazu wie ein Herzschlag.
"What is delicious and what is omniscient? / And what is the circular magic I'm feeling?", fragt Julia Holter im Refrain, der wirklich so klingt, als gerate er bald durchs ständige Um-sich-selbst-Drehen ins Taumeln. Der Kalifornierin stand der Sinn nach einem fließenden Klang, wie Wasser sollte er wirken. Die Ambient-Miniatur "Ocean" kommt dem am nächsten. Eine warme Orgel beschwört eine Unterwasserwelt hinauf, ein Saxophon in der Ferne imitiert Walgesänge – Tangerine Dream auf Tauchstation. Der Text von "Materia" vereint eine Liebeserklärung mit diffusen Wasser-Assoziationen: "Glowing underwater, the camera is taken back / Can you fool a mystery sea?" Ansonsten steckt dahinter bloß der Hauch eines Songs. Holter singt eine björksche Melodie und begleitet sich dabei selbst am E-Piano.
"Something In The Room She Moves" fließt wirklich wie Wasser, ziellos in alle Richtungen. "Talking To The Whisper" etwa, mit einer darkwavigen ersten Hälfte, kühlen Drums und Yamaha-Keyboards. Dann spaltet sich der Song auf, steuert auf ein freiförmiges Finale zu, das sich in die kosmischen Ozeane von Alice Coltrane und Sun Ra treiben lässt. Dabei braucht es gar nicht so viel. Denn die originellste, organischste, schönste Komposition des Albums ist auch die simpelste: "Meyou", ein Stück für einen fünfstimmigen Chor. Die Stimmen fließen umeinander, sie klingen klar, minimalistisch und trotzdem verzerrt. Als machte Györgi Ligeti Indie-Pop. Fragmentierung gelungen.
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