laut.de-Kritik
Der Strokes-Sänger fordert Hingabe und Ausdauer.
Review von David HutzelEine große Platte verlangt nach einem großen Thema. Besonders wenn sie von einem der respektabelsten Künstler der Zweitausender stammt. Der Strokes-Sänger Julian Casablancas mit seinem neuen Projekt The Voidz das Album "Tyranny" aufgenommen.
Tyrannei also. Weil es nach wie vor ein präsentes Thema und keinesfalls gestrig und obsolet sei, so der Maestro im Vorfeld der Veröffentlichung. Das Gefühl der Unterdrückung sei ein Umstand, der heutzutage gar ständig an Bedeutung gewänne – in Zeiten, in denen multinationale Konzerne ungehindert über Schicksale entscheiden.
Im Fokus der Platte liegt also das Bedrückende. Nicht allein thematisch, auch musikalisch verweigert sie jeglichen Versuch des schnellen Zugriffs auf ihren Klang. Was nicht bedeutet, dass man nicht eingängige Tonfolgen finden könnte. Nur geht "Tyranny" etwas komplizierter an ihren durchaus bestehenden Pop-Anspruch heran. Die Voidz ziehen ihre Energie aus rohem Punk und Hardcore auf der einen, aus digitalen Klängen und melodischen Harmonien auf der anderen Seite.
Das Gros der zwölf Tracks erweist sich als Experimentierstrecke für Julian Casablancas. Von Streitigkeiten über die künftige Ausrichtung der Band war im Vorfeld der letzten beiden Strokes-Alben die Rede – stellt "Tyranny" nun also Casablancas' Antwort auf die reaktionäre Haltung seiner Strokes-Kollegen dar? Von einer Neuerfindung mag man hier zwar nicht reden, nur setzt der New Yorker mehr denn je auf verzerrten Gesang, ausladende Vocoder-Parts und verworrene Rhythmen.
Trotzdem klingt die Scheibe nicht selten nach der Band, mit der Casablancas einst berühmt wurde. "Nintendo Blood" beispielsweise klingt wie ein später Strokes-Song, jedoch in die Länge gezogen, dann willkürlich gesprengt von widerborstigen Dissonanzen und dem furiosen Schlussteil, bei dem destruktive Energien wild um Casablancas schreiende Stimme tänzeln.
Casablancas & The Voidz entdecken die Liebe zum Artifiziellen, zum Unwirklichen, manifestiert in Retro-Rock und Avantgarde-Pop. "Phrazes For The Young", Casablancas' erstes Solo-Werk, wirkt im Vergleich zur neuen Platte wie der erste Gehversuch eines noch mit der Selbstfindung beschäftigten Musikers.
"Tyranny" trägt nun wesentlich mehr Ambitionen in sich. Mehr temporeichen Riff-Rock ("Johan Von Bronx") und gleichzeitig entschleunigte Orgellandschaften ("Off To War..."); endlose, entgrenzte Electro-Spielereien ("Human Sadness") und bodenständiges, verzerrtes Geschrammel ("Where No Eagles Fly").
Natürlich mutet das auch nach mehrmaligem Hören noch sperrig an. "Tyranny" lässt sich nicht leicht am Stück weghören. Die Platte besitzt den Charme einer unwirklichen Sammlung von Exponaten aus Casablancas' gewachsener Songwriter-Seele, die zwar einen Sinn ergeben, aber nur portionsweise konsumierbar sind.
So wirkt der gut einstündige Gang durch die vielen subtilen Melodien, die da unter der Oberfläche schlummern, wie ein Besuch im MoMA in New York, der vor allem zwei Dinge erfordert: vollkommene Hingabe und Ausdauer.
Die Rufe nach einem neuen Strokes-Album lässt "Tyranny" natürlich nicht verstummen. Casablancas schert sich aber nicht drum. Zwar tritt er mit seiner alten Band Mitte des Jahres erstmals seit Längerem wieder gemeinsam auf, stellt sie für sein Nebenprojekt dann aber wieder kalt. Doch das ist gut so. Denn mit den Voidz schärft Casablancas endlich wieder sein Profil als einer der besten Songwriter unserer Zeit. Zum ersten Mal seit vielleicht zehn Jahren.
3 Kommentare mit 2 Antworten
Kann die Rezension nicht zu Ende lesen, schon der erste Absatz bringt mich zu stark zum lachen. Ja ne, is klar, "respektabler" und auch noch "Künstler".
Du bist so cool.
Cool.. Cooler... Freezer.. King Cold? Nä, Freezer war ja Cheffe. Wären diese verdammten Sayajins nicht gewesen...
Album? Noch nicht gehört. Vllt Morgen.
"Eine große Platte verlangt nach einem großen Thema. Besonders wenn sie von einem der respektabelsten Künstler der Zweitausender stammt" also ich hab wirklich nichts gegen Casablancas, aber das halte ich für völlig übertrieben. Womit sollte er sich denn in den Kreis solch respektabler Persönlichkeiten begeben haben?
Die Musik der Strokes finde ich dafür doch etwas sehr gradlinig und auch die Themen sind nicht gerade revolutionär. Das neue Album trifft meinen Geschmack musikalisch zwar überhaupt nicht versuche ich es aber möglichst objektiv einzuordnen lande ich irgendwo zwischen 3 und 4 Sternen. Nicht schlecht, aber auch nicht der große Wurf...
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.