laut.de-Kritik

Absoluter Durchschnitt. Kein Blindfisch, kein Adlerauge.

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Wer hätte das gedacht. Nach sieben Jahren im Filmgeschaft outet sich Justin Timberlake mit seinem Comeback-Album "The 20/20 Experience" als heimlicher Saga-Fan. Deren "20/20" ging mit ähnlichem Cover bereits im Juli des letzten Jahres über die Ladentische.

20/20 steht für normale Sehschärfe nach dem Snellen-Index. Also absoluter Durchschnitt. Kein Blindfisch, kein Adlerauge. Sicher nicht das Attribut, mit dem sich ein Pop-Star auszeichnen möchte, der in einem Atemzug mit Michael Jackson genannt wird.

Da es sich bei "The 20/20 Experience" nicht um eine übliche Singleanhäufung handelt, verwundert die Namenswahl um so mehr. Auf Brecher der Marke "Cry Me A River", "SexyBack" oder "My Love" verzichtet der US-Amerikaner komplett. Vielmehr stellt das Album ein erstes Experiment dar, stellt interessante Weichen und Fragen. Konsequent verweigert sich Timberlake dem schnelllebigen Hit. Dafür breitet er seine Songs meist über sieben Minuten aus. Mit D'angelos, Maxwells und Frank Oceans Mitteln entsteht eine Konzept-Arbeit des modernen R'n'Bs.

Für "The 20/20 Experience" begibt sich Timberlake auf Gedeih und Verdeb in die Hände Timbalands. Gemeinsam starten die beiden Freunde mit gewissen Vorzügen noch einmal durch. Denn auch für den Produzenten, um den es in letzter Zeit still geworden war, stellt der Longplayer einen Neustart dar. 2012 brachte er es auf gerade einmal zwei veröffentlichte Tracks. Zu sehr hatte er sich in der Vergangenheit um sich selbst gedreht und in unzählige Kollaborationen verstrickt. Nie konnte er dem schnöden Mammon absagen, was zu seltsam seelenlos anmutenden Auftragsarbeiten mit Duran Duran, New Kids On The Block oder Chris Cornell führte. Zu seiner endgültige Stock Aitken Waterman-Werdung fehlte eigentlich nur noch Rick Astley.

An Timbaland macht sich der Erfolg und das Scheitern von "The 20/20 Experience" fest. Klangtechnisch handelt es sich um eine der beeindruckendsten Aufnahmen des noch jungen Jahres. Leider hält sich der ehemalige Mega-Produzent weiterhin an seine Trademarks. "Mirrors" kopiert den in die Jahre gekommenen Cry Me A River-Beat.

Wie schon vor zehn Jahren brabbelt Timbaland in "Don't Hold The Wall" unverständliches Zeugs in seine wuchtigen sowie minimalistischen Beats. Könnte der Mann doch nur einmal seine Gosche halten! Doch dann schwingt der Track nach viereinhalb Minuten komplett um. Eine gnadenlose Bassdrum leitet ein derbes Manifest an den puren Rhythmus in uns ein. "Come on Baby dance with me" singt Timberlake und selten war es schwerer, dieser Aufforderung zu widerstehen.

So schwanken T&T im Laufe des 20/20 Erlebnisses durch die Extreme. "Strawberry Bubblegum" fährt das Tempo auf ein Minimun zurück. Das zweigeteilte Stück, angesiedelt zwischen dem frühen Prince und dem späten Marvin Gaye, stellt Timberlakes präzise und feinfühlende Stimme in der Vordergrund. Edel
und stilsicher schmachtet er sich an der Seite von Jay-Z durch das vom prickelden Soul der siebziger Jahre getränkte "Suit & Tie".

Während "Let The Groove Get In" wie eine zu Recht in Vergessenheit geratene Zusammenarbeit der Miami Sound Machine mit Michael Jackson tönt, geht "Blue Ocean Floor" ungewohnte Wege. Timberlake schneidet tiefe Wunden in das Fleisch seiner Zuhörer. Verbogene Soundeffekte wie sie eher von James Blake oder Radiohead zu erwarten wären, unterlegen den herzzerreißenden Song und bestätigen den sanften Wachstumsprozess, den der Sänger mit "The 20/20 Experience" durchläuft.

Wie es sich für Experimente gehört, gelingt Timberlake und Timbaland nicht jeder Schritt. In seinen maßlosen Momenten verletzlich, in seiner Zurückgezogenheit eiskalt rationell, erschaffen sie ein Werk, das über seinen eigenen Tellerrand hinaus schaut. Verletzlich und unvollendet kann "The 20/20 Experience" nur ein Anfang sein, ansonsten wäre es verschenkt. "No one can find us here, fade out and disappear."

Trackliste

  1. 1. Pusher Love Girl
  2. 2. Suit & Tie
  3. 3. Don't Hold The Wall
  4. 4. Strawberry Bubblegum
  5. 5. Tunnel Vision
  6. 6. Spaceship Coupe
  7. 7. That Girl
  8. 8. Let The Groove Get In
  9. 9. Mirrors
  10. 10. Blue Ocean Floor

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21 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 11 Jahren

    Pöh! Suit + Tie geht mir hier rein, da raus...für ne erste Single schon ziemlich beliebig, dann kann der Rest ja nicht gerade hittig sein. Und Timba ödet mich so an, warum nicht mal wieder die Neptunes oder so?

  • Vor 11 Jahren

    dichter, warmer sound... sehr gut :) single irritierte mich anfangs auch, vermittelt aber nen falschen eindruck.

  • Vor 11 Jahren

    Mir gefällt das neue Klangbild sehr gut, dachte wir bekommen ein neues 'Futuresex' aber dieser 70's/Soul Sound hat auch seine Reize. Album hat mich teilweise stark an 'Channel Orange' erinnert.
    Würd mir nur Wünschen das er mal jemand anderen als nur Timbaland produzieren lassen würde, würde ihm bestimmt auch gut tun.
    'Blue Ocean Floor' bester Song.

  • Vor 8 Jahren

    Was ich mich ehrlich frage ist: Bekommt man Geld, wenn man so einen schlechten Artikel verfasst? Das wäre nämlich wirklich ein Verbrechen, bei all den vielen Menschen, die gute und ehrliche Arbeit leisten.

  • Vor 7 Jahren

    Eine Fusionierung aus beiden Alben (und seinen besten Tracks) wäre zwar besser gewesen, doch so richtig verzichten will man im gesamten auf die Tracks dennoch nicht. Keine Ausfälle dabei; ganz im Gegenteil; jeder Track hat seine Daseinsberechtigung und glänzt (mal mehr mal weniger). Am Ende aber ein guter erster Teil und am Ende ein tolles "Doppelalbum". 4/5 Sterne. Beste Tracks auf Teil 1: "Pusher Love Girl", "Suit & Tie" & "Strawberry Bubblegum", "Tunnel Vision", "Mirrors" sowie der meiner Meinung nach beste Track auf dem Album: ""Let the Groove Get In"

  • Vor 7 Jahren

    Mirrors ist ein textlich tiefgründiges Liebeslied, Gesang und Beat harmonieren interessant und gut, und die Rhythmik des Gesangs übertrifft vieles was im Vier-Vierteltakt existiert. Versucht das mal zu singen, und dann bewerten.