laut.de-Kritik

Frankreich bleibt das Mutterland des Synthwave.

Review von

Am 25. Februar 2013 schlägt ein leuchtender Blitz des Synthwave in die Musiklandschaft ein: "Outrun" von Kavinsky hievt das gleichnamige Subgenre in den Mainstream, auch dank des Überhits "Nightcall", dem Introsong des Kultthrillers "Drive" von Nicolas Winding Refn. "Outrun" atmete die Filmproduktionen der 80er, kulminierte deren famose Atmosphäre und goss sie in peitschende, das Gaspedal malträtierende Elektro-Banger. Ein Album, dass bei nächtlichen Autofahrten in der Großstadt am meisten Spaß bringt. Ein wilder, schneller und mitreißender Soundtrack aus den 80ern, transportiert in die Jetztzeit. Ein Meisterstück.

Der große Erfolg wurde dem aufmerksamkeitsscheuen Franzosen schnell zu viel und er verschwand von der Bildfläche. Seinem Ruf und Legendenstatus tat dies aber keinen Abbruch, zumal er durch die ikonische Ästhetik und eine fiktive Backstory seines Alter Ego für Wiedererkennungswert sorgte. Die Fangemeinde wurde sofort hellhörig, als Kavinsky Ende 2021 "Renegade" vorlegte, ein bedächtig groovender Funk mit Vocals à la The Weeknd von Cautious Clay.

In Interviews verrät Vincent Belorgey nun, dass er nach einigen Gesprächen mit Kollegen und Freunden wieder die Lust am Musizieren entdeckte und auch gerne über andere Songs sprechen würde als nur über "Nightcall". Zudem distanziere sich "Reborn" deutlich von seinem Vorgänger: "Für dieses Album wollte ich wirklich einen neuen Sound haben. Vielleicht etwas Natürlicheres, denn es sind fast nur echte Instrumente darauf, es gibt auch überhaupt keine Samples auf 'Reborn'." Durchaus bemerkenswert für einen Elektrokünstler.

Die metaphorische Wiederauferstehung Kavinskys beginnt mit fingierten Herzschlägen im melancholischen "Pulsar" samt heller Synthies und Reminiszenzen an Captain Future. Ein wunderbarer Türöffner. Der anschließende Titeltrack beherbergt seine klassischen Arpeggio-Synthies, druckvolles Piano und leichten 10cc-Einschlag im Gesang von Romuald. Nach der Single "Renegade" überrascht uns das Instrumental "Trigger": druckvoller Beat, Filter-House, erhabene Streicher, mäandernde Melodien, auflockernder Mittelteil. Ein Paradebeispiel für mondänen Elektro der Marke Justice. Da verwundert es auch nicht, dass Gaspard Augé nicht nur bei diesem Song als Producer fungiert, sondern auch generell. "Outsider" trägt eine ähnliche DNA, wenn ein bedeutungsschwangeres Klavier sukzessive von treibendem Darkwave eingeholt wird und durch hektische Streicher echtes Kinofeeling evoziert.

Die größte künstlerische Entwicklung stellt sich vor allem darin zur Schau, dass Belorgey das Tempo drosselt und Raum für mehr Varianz sowie Zugänglichkeit schafft. "Plasma" präsentiert dies überdeutlich dank unterschiedlicher Instrumentierung: bratzige Synths sowie Fanfaren in der ersten Strophe stehen Elektro-Funk und windige Jamiroquai-Violinen in der zweiten gegenüber. Im Refrain schraubt sich noch eine E-Gitarre durch das musikalische Dickicht. Morgan Phalen vergoldet derweil den Song mit seinem emotionalen Gesang.

Generell treten etliche Gastsänger*innen vor das Mikrofon, die "Reborn" Menschlichkeit einpflanzen. Somit befindet sich u.a. mit "Goodbye" eine esoterisch anmutende 808-Kick-Ballade mit Landsmann Sébastien Tellier auf dem Album. Kareen Lomax überzeugt im coolen "Cameo", dass aufgrund seiner weichen Melodien hervorragend auf den Vorzeige-YouTubekanal "Electronic Gems" passen würde. Der funkelnde Spacepop "Zombie" erzeugt ebenfalls Euphorieschübe und das ein oder andere Grinsen, wenn man verstohlene "Uh, Ah!"-Vocals vernimmt und man sich an Yellos "Oh Yeah" erinnert fühlt.

Die offensichtlichste Brücke zu "Outrun" schlägt er auf "Zenith", die indirekte Fortsetzung von "Nightcall". Erneut gibt es ein Tandem aus Frau (Prudence) und Mann (Morgan Phalen), ein gemächliches Tempo und eine metronomische Hook. Der warme Vibe bleibt derselbe, obgleich ein romantisches Saxophon und eine cheesy E-Gitarre neu hinzukommen und diese nostalgische Reise abrunden. Letztgenanntes Instrument fiedelt sich gekonnt durch den Schlussakt "Horizon", die zweite Ballade, die sich augenscheinlich "The Game of Love" von Daft Punk ans Revers heftet. Sanfte Töne des Fender Rhodes Keyboards und die durch Reverb- sowie Vocodereinsatz unkenntlich verzerrte Stimme Thomas Mars' von Phoenix lassen das Album apart auslaufen.

Kavinsky bleibt seinem cineastisch anmutenden Synthwave aus besagtem Jahrzehnt treu, braust jedoch nicht wie ein feuerroter Ferrari Testarossa mit Vollgas in die Disco, sondern gleitet elegant im F40 zur Cocktaillounge an die Promenade von Miami. Ihm gelingt somit ein wohl temperiertes, unprätentiöses Comeback, das seine Weiterentwicklung zu Tage fördert und gleichzeitig seine Wurzeln und seine Bedeutung für das Genre nicht leugnet. "Reborn" zeugt von beachtlicher Produktionskunst, Liebe zum Detail und demonstriert einmal mehr, dass Frankreich mit die besten Künstler in diesem Bereich hervorbringt.

Vincent verspricht außerdem, in Zukunft zügiger aufzunehmen und nicht wieder neun Jahre verstreichen zu lassen. Bleibt zu hoffen, dass er sein Wort hält!

Trackliste

  1. 1. Pulsar
  2. 2. Reborn
  3. 3. Trigger
  4. 4. Renegade
  5. 5. Zenith
  6. 6. Plasma
  7. 7. Cameo
  8. 8. Vigilante
  9. 9. Goodbye
  10. 10. Outsider
  11. 11. Zombie
  12. 12. Horizon

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